Navigation am Fernsehgerät – Usability und HbbTV

Eingeschalteter Fernseher in einem Wohnzimmer.

Ich weiß noch genau, wie ich mich 2009 zum ersten Mal mit diesem Thema beschäftigt habe. Ich saß mit der Fernbedienung vor einem LCD-Fernseher der (damals) neuesten Generation und wollte mir einen Überblick über bereits existierende HbbTV-Applikationen verschaffen. Das Ergebnis war eher ernüchternd. Nach etwa einer halben Stunde hatte ich keine Lust mehr, da mich die Bedienung und Navigation ziemlich frustrierte.

Dennoch (oder vielleicht gerade deshalb) hat mich die Thematik anschließend nicht mehr in Ruhe gelassen. Ich fragte mich, warum die Navigation so umständlich war und was man besser machen könnte. Zudem war ich in meiner Rolle als Softwareentwickler in den letzten Jahren mehrfach an der Konzeptionierung und Erstellung von HbbTV-Anwendungen beteiligt und konnte so ein wenig Erfahrung in dem Bereich sammeln.

Meine gesammelten Erfahrungen möchte ich zusammen mit meinen Ideen und Gedanken in diesem Beitrag zum Besten geben. Dazu werde ich versuchen einen kleinen Überblick zu geben, aufzeigen welche Probleme momentan bestehen und was man verbessern könnte. Abschließend werde ich

HbbTV-Logo

dann noch ein paar Überlegungen anstellen, wo die Reise hingehen könnte.

Was ist eigentlich HbbTV?

Fernbedienung opera

Die meisten werden sich nach dem Lesen des Titels sicherlich die Frage stellen: Was ist eigentlich HbbTV? HbbTV steht für „Hybrid Broadcast Broadband TV“ und beschreibt einen Standard zur Verknüpfung von zwei Kommunikationswegen – nämlich Fernsehen / Rundfunk (Broadcast) und Internet (Broadband) am Fernsehgerät (TV). Dies kann beispielsweise genutzt werden, um die linearen Fernsehinhalte durch zusätzliche Informationen aus dem Internet zu ergänzen oder dem Zuschauer zu ermöglichen, interaktiv bestimmte Inhalte abzurufen. Auch wenn der Begriff „HbbTV“ eigentlich einen konkreten Standard beschreibt, wird dieser oft allgemein als Oberbegriff für Internetapplikationen auf einem Fernsehgerät verwendet.

Auch wenn ich mich in diesem Beitrag auf HbbTV-Anwendungen beziehe und häufig den Begriff verwende, ist dies sicherlich auch auf Anwendungen übertragbar, die nicht auf diesem Standard basieren. Grundlegend soll es ja um die Bedienung von Applikationen auf dem Fernsehgerät gehen und dies ist unabhängig von der verwendeten Technologie bzw. des verwendeten Standards.

Weitere Informationen gibt es auf der Website des HbbTV-Konsortiums, der Deutschen TV-Plattform, HbbTV-infos.de und natürlich Wikipedia.

Beispiele und Anwendungen

Viele Rundfunkanstalten nutzen die HbbTV-Technologie mittlerweile recht intensiv, um (Web-)Inhalte auf den Fernseher zu bringen. So existieren beispielsweise bereits HbbTV-Versionen der Online-Mediatheken von Arte, ARD, NDR, Sat1, RTL oder ProSieben. Weitere Anwendungen, für die HbbTV verwendet wird, sind verbesserter Teletext mit aufwändigeren Grafiken und erweiterten Funktionen oder ein individualisierter EPG (Electronic Program Guide). Auch die Werbung hat HbbTV bereits für sich entdeckt. So hat zum Beispiel der Otto-Versand seine Fernsehwerbung zur Weihnachtszeit mit einer interaktiven HbbTV-Anwendung unterstützt, die es dem Zuschauer erlaubt, weitere Informationen zu den beworbenen Weihnachtsangeboten abzurufen und Artikel über das Otto-Callcenter zu bestellen.

Am besten macht man sich selbst ein Bild und probiert die Anwendungen einmal aus, die es bisher in der weiten Welt des Internets gibt. Wer keinen HbbTV-fähigen Fernseher (oder eine Set-Top-Box) besitzt, kann die Anwendungen auch im Browser ausführen. In der Regel bedarf es dazu jedoch ein wenig technisches Geschick, wobei diese Beschreibung helfen kann.

Wer keine Lust auf Bastelei hat, dem empfehle ich als Beispiel die HbbTV-Mediathek der ARD.de, die abgesehen vom Abspielen der Videos vollständig im Browser lauffähig ist.

Verschiedene Bedienkonzepte

Zur Navigation innerhalb der Applikationen stehen dem Benutzer vier Farbtasten (rot, grün, gelb und blau), die klassischen Nummerntasten und das Steuerkreuz der Fernbedienung zur Verfügung. Diese Möglichkeiten werden von den verfügbaren HbbTV-Anwendungen auf verschiedene Art und Weise miteinander kombiniert. Im Folgenden habe ich drei Beispiele aufgelistet, welche die

arte Mediathek

Abbildung 1: Arte+7 Mediathek

vorhandenen Navigationsmöglichkeiten unterschiedlich einsetzen.

Einen interessanten Ansatz findet man in der Arte+7 Mediathek. Jeder Menüpunkt ist sowohl über die Pfeiltasten als auch direkt über eine Nummer (0-9) anwählbar. Die zugewiesenen Nummerntasten stehen dazu vor dem jeweiligen Menüeintrag (siehe Abbildung 1). Die Farbtasten finden keine Verwendung. Ich persönlich benutze in diesem Kontext intuitiv die Nummerntasten gar nicht, sondern navigiere rein über die Pfeiltasten.

ard Text

Abbildung 2: ARD-Teletext

Der HbbTV-Videotext der ARD erlaubt ebenfalls die Navigation per Pfeiltasten, bietet aber zusätzlich die klassische Navigation per Eingabe der Seitenzahl an. Dazu wird oben links ein Textfeld angezeigt, das die aktuelle Seitenzahl anzeigt. Bei der Eingabe einer dreistelligen Zahl wird dann wie gewohnt die entsprechende Teletext-Seite aufgerufen. Somit können Benutzer ihr vom klassischen Teletext gewohntes Verhalten auch auf die neue HbbTV-Variante übertragen.

ard Mediathek

Abbildung 3: ARD-Mediathek

Die ARD-Mediathek setzt den Schwerpunkt auf die Pfeilnavigation. Die gesamte Hauptnavigation erfolgt über das Steuerkreuz. Über die Nummerntasten 0-3 können die Startseite und weitere Service-Links wie Hilfe, Suche und Impressum angesteuert werden. Mit Hilfe der Farbtasten lässt sich auf ein anderes HbbTV-Angebot der ARD wechseln: Rot beendet die Applikation, Gelb wechselt auf die Mediathek einer anderen Landesrundfunkanstalt der ARD, Grün führt zum EPG und Blau ruft den Teletext auf.

Dieses Navigationskonzept orientiert sich am Ergebnis einer Usability-Studie, die 2011 von der ARD in Auftrag gegeben worden ist. Die Studie zeigte, dass Benutzer in „fast 40 Prozent der Fälle die Pfeiltasten“ als Navigationsart bevorzugten. So ergibt sich im Falle der ARD-Mediathek eine stimmige Gruppierung der verschiedenen Tasten: Die Farbtasten wechseln das Angebot, die Nummerntasten verweisen auf Service-Links und die Pfeiltasten navigieren innerhalb der Applikation.

Probleme und Schwierigkeiten

Wie bei jeder neuen Technologie kämpft auch HbbTV mit anfänglichen Kinderkrankheiten. Interessant ist dabei, dass einem diese Probleme (vor allem als Entwickler) aus anderen Bereichen bekannt vorkommen.

Wie so oft wenn ein neuer Standard verabschiedet wird, gibt es anfangs Hersteller, die sich nicht daran halten und entweder ihre eigene proprietäre Lösung auf den Markt bringen oder den Standard leicht abweichend umsetzen. Zu der ersten Kategorie gehört z.B. Panasonic, die mit VieraCast bzw. VieraConnect seit 2008 ihre eigene Lösung betreiben (siehe http://www.digital-room.de/news/Smart-tv-schwacher-Standard-HbbTV und http://www.ard.de/ratgeber/multimedia/hbbtv/-/id=13302/nid=13302/did=1567970/1gwjv12/index.html).

Dass einige Hersteller den Standard technisch unterschiedlich umsetzen, führt leider dazu, dass HbbTV-Applikationen auf verschiedenen Geräten verschiedener Hersteller unterschiedlich aussehen können. Hinzu kommt, dass auch funktionelle Vorgaben unterschiedlich interpretiert werden. So ist zum Beispiel nicht festgelegt, wie die Farbtasten zu verwenden sind. Das hat zur Folge, dass in einem Angebot die gelbe Taste die Mediathek aufruft (z.B. ARD), in einem anderen ein Favoriten-Menü (z.B. ZDF) und einem dritten gar keine Funktion besitzt (z.B. Arte+7). Der Benutzer muss sich somit jedes mal wieder neu orientieren. Eine Ausnahme stellt die Rote-Farbtaste dar, bei der

ard Suche

Abbildung 4: Suche der ARD-Mediathek

klar vorgegeben ist, dass sie die HbbTV-Anwendung ein- oder ausblendet.

Ein Fall bei dem sich der Benutzer auch jedes Mal wieder neu orientieren muss, ist die Eingabe von Text. Nicht nur, dass die Eingabe (zum Beispiel in ein Suchfeld) mit der Fernbedienung äußerst mühselig ist, zusätzlich ist dies auch in den verschiedenen Anwendungen immer wieder auf unterschiedliche Art und Weise gelöst worden. Während im HbbTV-Angebot der ARD eine QWERTZU-Tastatur eingeblendet wird, die sich mit Pfeiltasten bedienen lässt, geht zum Beispiel das ZDF einen anderen Weg. Hier wird das vom Handy bekannte Texteingabesystem mit Hilfe von Nummern verwendet. Nach der Eingabe von mindestens drei Buchstaben wird automatisch eine Suche angestoßen.

zdf Suche

Abbildung 5: Suche der ZDF-Mediathek

Gerade bei der Eingabe von Text fällt besonders ein weiteres (und meiner Meinung nach eines der wichtigsten) Probleme bei der Bedienbarkeit auf: die Reaktionsgeschwindigkeit der Anwendungen. Jeder Tastendruck wird erst mit einiger Verzögerung auf dem Bildschirm dargestellt und führt oft zu Bedienungsfehlern und Fehleingaben. Dies bestätigt auch die bereits erwähnte Usability-Studie der ARD.

Was kann man besser machen?

Im Bereich der Bedienbarkeit von HbbTV-Anwendungen kann meiner Meinung nach noch einiges verbessert werden. Dies ist auch wenig überraschend, wenn man bedenkt, dass die Technologie noch recht jung ist und Erfahrungen erst noch gemacht werden müssen.

Jeder Anbieter solcher Anwendungen beginnt (fast) auf der „grünen Wiese“ und sollte sich zu dem Thema seine eigenen Gedanken machen. Das macht die Programmierung von gut bedienbaren Applikationen zwar nicht einfacher, bietet aber andererseits den Raum, um neue Dinge auszuprobieren und den aktuellen Markt zu beeinflussen.

Aus meiner Perspektive ist es dennoch sinnvoll, gemeinsame Best-Practices und Style-Guides zu erarbeiten, damit der Benutzer ein festes Grundkonzept hat, auf das er sich bei der Navigation durch HbbTV-Inhalte verlassen kann. Ein (leider kostenpflichtiger) Style-Guide wurde zum Beispiel von der Deutschen TV-Plattform und der TU Ilmenau erarbeitet (siehe http://www.tv-plattform.de und http://www.tv-plattform.de) und auch in anderen Blogs machen sich Leute Gedanken zu allgemein gültigen Richtlinien (siehe hbbtv für Anwendungsentwickler Teil 1, Teil 2, Teil 3 von Sophia Schäfer).

Aus meinen eigenen Erfahrungen als Entwickler und nach Lesen einiger Dokumente zu dem Thema, halte ich folgende Punkte für gute Richtlinien:

  • Die Schriftgröße sollte nicht zu klein sein. Man muss bedenken, dass der Zuschauer in einem gewissen Abstand zum Fernsehgerät sitzt und auch aus dieser Entfernung alles problemlos lesbar sein muss.
  • Die Navigation sollte hauptsächlich über die Pfeiltasten stattfinden. Dabei muss immer eindeutig markiert sein, welches Element im Augenblick den Fokus hat. Alle Elemente, die ausgewählt werden können, sollten eindeutig als solche identifizierbar sein.
  • Die Zifferntasten sollten nur für weniger wichtige Funktionen oder gar nicht verwendet werden. Zudem wäre es wünschenswert, wenn die Farbtasten global eine einheitliche Belegung durch den Standard zugewiesen bekämen.
  • Alle verfügbaren Optionen / Tastenbelegungen sollten in einer Art Legende angezeigt werden.
  • Man sollte im Hinterkopf behalten, dass es sich beim Fernseher um ein audiovisuelles Medium handelt.
  • Niemand liest sich auf dem Fernseher größere Textwüsten durch. Auch aufgrund der größeren Schriftart sollte eher mit Grafiken gearbeitet werden und die Anzeige nicht überladen werden. Weniger ist mehr.
  • Der Inhalt sollte nicht zu stark verschachtelt werden. Hierarchien sind sehr schwer abzubilden und machen die Navigation unnötig kompliziert.
  • Auf technischer Seite muss dringend weiter an der Reduktion der Latenz bei Tasteneingaben gearbeitet werden. Die Reaktionszeit der Anwendungen nach einem Tastendruck ist zu langsam.
  • Bei freien Texteingaben sollte der Benutzer durch Mechanismen, die von Handys und Navigationsgeräten bereits bekannt sind (z.B. Search-as-you-Type, T9), unterstützt werden. Denn gerade die Texteingabe per Fernbedienung ist aufgrund der niedrigen Reaktionszeit der Anwendung äußerst mühselig.

Ein Blick in die Glaskugel

logitech harmony one

Abbildung 6: Logitech Harmony One

Was das ganze Thema meiner Meinung nach sehr spannend macht, ist die Kombination aus neuer Technologie und klassischem Medium. Einerseits existieren bisher wenig Erfahrungswerte zur Bedienung von HbbTV-Anwendungen, aber dennoch kann man auf gelerntes Verhalten des Benutzers zurückgreifen. Jeder hatte schon einmal eine Fernbedienung in der Hand, hat einen Teletext bedient und kennt das Arrangement der Nummerntasten von seinem (alten) Handy.

Vielleicht sind aber gerade die Navigationsformen, die das klassische Fernsehen mitbringt, der limitierende Faktor und es werden sich ganz neue Methoden etablieren, an die wir bisher nicht denken.

Warum zum Beispiel muss ich mich damit zufrieden geben, eine Anwendung mit ein paar Nummerntasten und einem Drehkreuz zu bedienen, während ich an meinem Smartphone nicht einmal mehr Tasten habe?! Gibt es tatsächlich einen guten Grund dafür, dass Fernbedienungen so begrenzt sein müssen oder dass ich meinen Fernseher überhaupt mit einer Fernbedienung bedienen muss?! Möglicherweise bedienen wir ja in Zukunft unseren Fernseher mit einer App auf unserem Smartphone oder besitzen eine Fernbedienung mit Touchscreen (siehe z.B. Abbildung 6 Logitech Harmony One).

Hätte das Eingabegerät (Fernbedienung, iPad, Smartphone etc.) einen Touchscreen, könnte ich über Gesten durch die Anwendungen blättern, das Bild zoomen oder einfach navigieren. Das Display könnte mir kontextabhängig die beste Eingabe-Form zur Verfügung stellen. Wähle ich ein beispielsweise ein Textfeld an, wird mir automatisch eine QWERTZU-Tastatur zur Verfügung gestellt.

Eine weitere Navigationsform könnte man sich von der Spiele-Industrie abgucken. Mit der Nintendo Wii oder Microsoft Kinect hat in dieser Branche vor ein paar Jahren die Gesten- und Bewegungsteuerung Einzug gehalten. Würde man Fernbedienungen wie bei einem Wii-Controller mit Bewegungssensoren ausstatten, könnte man neben den Tasten auch die Position und Bewegung der Fernbedienung für die Steuerung nutzen. Im Falle der Kinect-Technologie wäre es sogar vorstellbar, in einer Anwendung nur mit Gesten und Bewegungen und ganz ohne Eingabegerät in der Hand zu navigieren.

Das ist sicherlich noch Fiktion, aber mir persönlich gefallen diese Ideen.

Portraitfoto: Sven Hoffmann

Sven Hoffmann

Softwareentwickler

subshell GmbH

Bisher veröffentlichte Beiträge: 1

3 Kommentare

  • Steven

    Ein sehr interessanter Beitrag zu einem interessanten Anwendungsfall. 🙂 Ich bin mir auch nicht ganz sicher, in welcher Form sich die HbbTV-Anwendungen durchsetzen werden. Ich könnte mir ebenfalls gut vorstellen, die Apps per Smartphone zu bedienen. Das erfordert dann natürlich auch eine standardisierte und überall funktionierende Schnittstelle… ob die Hersteller da mitmachen?

  • Sehr schöner Artikel! Ich selber wünsche mir auch eine einheitlichere Navigation über die verschiedenen Angebote hinweg. Denn so bin ich jedes Mal wieder am Suchen und weiß nicht genau, was mich erwartet.

  • Tobi

    Toller Beitrag! Zum Thema Bildschirmtastaturen: Schon youtube.com/leanback gesehen? Unter dem Punkt „search“ kann via Tastatur gesucht werden. Die Tastatur hat ein interessantes Feature, welches ich bisher nur da gesehen habe 🙂
    LG, Ein Hbbtv-Entwickler

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