Verstehen Ihre Nutzer Sie? – Leichte Sprache für barrierearme Sites

Mehrere Blätter mit verschiedenen Schriften bedruckt.

Wie viele Nutzer hätten Sie gern für Ihre Website? Möglichst viele? Dann machen Sie sich am besten ein paar Gedanken zu Ihren Nutzern und dem, was sie können.

7,5 Millionen Deutsch sprechende Erwachsene können nur eingeschränkt lesen und schreiben. (Laut der leo.-Studie 2011.)

Das heißt: Gut 14 Prozent der möglichen Besucher schließen Sie aus, wenn Ihre Texte zu kompliziert sind.

Und den anderen Besuchern machen Sie das Leben damit unnötig schwer.

Generell können Sie nur gewinnen, wenn Sie darauf achten, dass die Texte auf Ihrer Site leicht verständlich sind. Das ist eine der Maßnahmen zur Optimierung Ihrer Site, die…

  • am schnellsten umzusetzen ist,
  • am wenigsten Aufwand ist,
  • keine technischen oder gestalterischen Änderungen nötig macht und
  • immer etwas bringt.

Tipps dazu habe ich vor einiger Zeit hier im Blog gegeben: Treffsichere Texte für begeisterte Besucher – Usabilityblog.de

Wobei zugängliche Texte natürlich nicht nur für Websites wichtig sind, sondern auch für Apps, andere Anwendungen, für Handbücher – und z.B. auch für Beschriftungen von Geräten oder deren Displays.

Fehlermeldung bei Kaffeemaschine

„SERVICE AUS 06 A“ – Text in Großbuchstaben ist generell schlechter zu lesen. Und dieser ist inhaltlich unverständlich für Laien. Der relevante Text „KEIN WASSER“ kommt erst danach. Das macht das Verständnis unnötig schwer.

Zugänglich für alle ist ein Gewinn für jeden

Um aber Menschen mit schwerwiegenden Leseschwierigkeiten den Zugang zu Ihren Inhalten zu ermöglichen, braucht es mehr als guten Text. Denn guter Fach-Text ist mitunter zu kompliziert. Will man hier etwas ändern, steht man vor ähnlichen Fragen wie bei anderen Bereichen der Accessibility, der Barrierefreiheit für Internetseiten.

Dabei gilt der Grundsatz, dass generell die Accessibility ein Gewinn für jede Site ist und auch nicht eingeschränkte Besucher etwas davon haben, wenn Sie auf diese achten. (Siehe hier im Blog
3 Common Myths about eAccessibility)

Gerade im mobilen Kontext sind leicht verständliche Texte mit kurzen Sätzen für alle Nutzer wichtig. Hier sind die Bildschirme kleiner, die Aufmerksamkeitsspanne ist kürzer und die Umgebung lenkt mehr ab.

Screenshot Website Umweltministerium

Auf den Seiten der Bundesministerien führt das Logo in der Kopfzeile zu einem Bereich in Leichter Sprache. Dort sind die wichtigsten Hintergründe zum jeweiligen Arbeitsbereich beschrieben.

Zu einfach geschrieben?

Auch wer ein Fachpublikum anspricht, sollte möglichst einfach formulieren. Gelegentlich höre ich das Argument, man dürfe nicht zu einfach formulieren, sonst wirke man nicht kompetent. Dieses Argument zieht nicht. Natürlich sollte man nicht in Kindersprache schreiben. Aber wenn man es übertreibt mit den hochtrabenden Sätzen, dann geht der Schuss nach hinten los.

Das belegt eine Studie, vorgestellt in der Veröffentlichung Folgen des Einsatzes übermäßig gelehrter Fachsprache ohne Berücksichtigung der Notwendigkeit (Daniel M. Oppenheimer: Consequences of erudite vernacular utilized irrespective of necessity: problems with using long words needlessly. Appl. Cognit. Psychol. 20 (2006): 139–156).

Dabei ist der Titel ein Scherz – die Studie belegt, dass solch unnötig komplexe Formulierungen dazu führen, dass Leser den Autor solcher Texte für weniger intelligent halten.

Lesen kann jeder – oder?

Lesen erscheint den meisten von uns als so selbstverständlich, dass wir uns keine Gedanken darüber machen, wie es Menschen geht, die das nicht können.

4 % der Schüler in Deutschland sind Legastheniker, haben also eine ausgeprägte Lese-Rechtschreib-Schwäche. 14 % der Erwachsenen sind funktionale Analphabeten. Das heißt, sie können zwar ihren Namen und einzelne Wörter schreiben und sich im Alltag zurechtfinden, aber schon einzelne Sätze zu lesen überfordert sie.

Generell sind die Grenzen fließend – und deshalb findet man auch unterschiedliche Zahlen zu den Betroffenen.

Wie kann man das Lesen leichter machen?

Wer seine Texte großzügig und in ausreichender Schriftgröße gestaltet, hat schon den ersten Schritt gemacht. Eine gute Gliederung durch Zwischenüberschriften, Listen etc. hilft auch.

Doch wer auch Menschen mit ausgeprägter Leseschwäche helfen will, der muss mehr tun.

Typografie für Legastheniker

Legastheniker sehen Buchstaben anders als Nicht-Legastheniker. Dazu gibt es verschiedene Visualisierungen, die mit Abständen, verschobenen Buchstaben-Teilen, Doppelungen von Konturen und anderen Effekten arbeiten. Sie alle dienen dazu, einen Eindruck zu vermitteln, wie schwer es für Betroffene ist, Text zu entziffern.

Visualisierung Leseprobleme Legastheniker

Für Legastheniker erscheinen die Buchstaben als schwer zu entziffernde Formen.

Sehr gut zeigt das dieser Artikel: How to Design for Dyslexia Und er gibt auch gleich einige Tipps, worauf wir bei der Gestaltung von Texten achten sollten.

Generell sind Schriftarten gut, bei denen sich die Buchstaben klar voneinander unterscheiden. Auch klare Ober- und Unterlängen sind wichtig (also z.B. lange Striche beim h nach oben oder beim p nach unten).

Auf Basis solcher Erkenntnisse wurden etliche Schriftarten speziell für Legastheniker entwickelt: Typefaces for dyslexia

Schreiben in Einfacher Sprache

Einfache Sprache ist ein feststehender Begriff. Er beschreibt eine Variante des Deutschen, die speziell für Menschen mit geringen Lesefähigkeiten gedacht ist. Also für funktionale Analphabeten, für Menschen mit geringer Bildung oder auch für Nicht-Muttersprachler.

Kernpunkte bei Einfacher Sprache sind:

  • Kurze Sätze (maximal ca. 15 Wörter)
  • Einfache Sätze (maximal ein Nebensatz/Komma)
  • Möglichst wenig Fremdwörter
  • Wenn Fremdwörter gebraucht werden, werden sie beim 1. Auftreten erklärt

Schreiben in Leichter Sprache

Logo Leichte Sprache

Von Inclusion Europe entwickeltes Logo für Texte in Leichter Sprache

Leichte Sprache ist eine spezielle Ausdrucksweise, die noch leichter verständlich sein soll als Einfache Sprache. Solche Texte in Leichter Sprache sollen auch Menschen mit geistiger Behinderung verstehen können.

Neben den Regeln für Einfache Sprache gibt es für Leichte Sprache u.a. folgende Regeln:

  • Sehr kurze Sätze (ca. 8 Wörter maximal)
  • Nur 1 Aussage pro Satz
  • Nur im Aktiv formulieren
  • Sätze immer nach dem Schema Subjekt – Prädikat – Objekt aufbauen („Der Mann trinkt den Tee.“)
  • Genitiv ersetzten durch Satzkonstruktion mit „vom“ („Der Hund vom Polizisten“ statt „Der Hund des Polizisten“)
  • Keine abstrakten Begriffe

Hinzu kommen Regeln zu Schreibweise und Typografie:

  • Zusammengesetzte Wörter mit Bindestrich gliedern („Polizei-Hund“, „Fenster-Putzer“)
  • Jeder Satz in einer eigenen Zeile
  • Keine kursive Schrift, keine Kapitälchen/durchgehende Großbuchstaben

Screenshot Website Umweltministerium Leichte Sprache

Durch diese Vorgaben machen Texte in Leichter Sprache auf Menschen mit normalen Lesefähigkeiten einen eigenartigen Eindruck. Texte in Einfacher Sprache dagegen fallen in vielen Fällen neben Alltagstexten wenig auf.

Wer Texte in Leichter Sprache schreiben möchte, findet beim Netzwerk Leichte Sprache alle notwendigen Informationen.

Ganz wichtig: Vorgeschrieben ist für Leichte Sprache auch eine Überprüfung der Texte – das heißt, Sie müssen sozusagen einen Usability-Test bzw. -Review mit Ihren Texten machen.

Eine Verpflichtung, Texte in Leichter Sprache anzubieten, leitet sich aus der Verpflichtung zu Accessibility nur für öffentliche Stellen ab. Aber jeder, der sich an eine breite Zielgruppe richtet, sollte darüber nachdenken, solche Texte in Leichter Sprache anzubieten. Und Texte in Einfacher Sprache sind fast immer sinnvoll.

Portraitfoto: Jens Jacobsen

Jens Jacobsen

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