Der Herdentrieb: Psychologische Erkenntnisse für ein überzeugenderes Webdesign (Teil 3)

Dame sitzt vor Farbmustern und betrachtet einen Online Shop

Menschen orientieren sich stets an dem, was andere tun. Sie kennen vielleicht eine dieser Studien, in denen ein paar Leute (die eingeweiht sind) mitten in der Einkaufspassage nach oben gucken und sich schnell immer mehr Passanten dazugesellen und ebenfalls nach oben schauen. Oder im Konzert: Einer fängt an zu klatschen und ganz schnell klatschen auch die anderen. Häufig wissen diese Personen dabei gar nicht, warum sie eigentlich nach oben gucken oder anfangen zu klatschen.

Der Grund dafür ist das psychologische Prinzip des „Social Proof“, zu dt. auch gern als „Herdentrieb“ bezeichnet: Wir orientieren uns häufig an dem Verhalten anderer Menschen, da wir davon ausgehen, dass dies gut für uns ist. Speziell in Situationen, in denen keine „besseren“ Informationen vorliegen, ist dies eine wichtige Heuristik, um trotzdem sinnvolle Entscheidungen treffen zu können.

In diesem Artikel möchte ich anhand von Erklärungen & Beispielen zeigen, wie Sie sich diese Erkenntnis für Ihren Webauftritt zu Nutze machen können.

„Wenn andere das gut finden, gefällt mir das wahrscheinlich auch.“

Stellen Sie sich vor, Sie sind im Urlaub und haben sich für einen besonderen Abend ein schönes Restaurant aus dem Reiseführer ausgesucht, doch nun stehen Sie plötzlich vor verschlossener Tür, der Besitzer macht Urlaub. Das nächste Restaurant im Reiseführer ist mind. 30 Min. entfernt. In der Nähe sind viele Restaurants, aber Sie haben Angst, ein Minderwertiges auszuwählen oder in einer „Touristenfalle“ zu landen. Was würden Sie tun?

Die meisten Menschen entscheiden sich für eine von 2 Alternativen:

  1. Sie laufen die Restaurants ab und schauen „wo was los ist“ und meiden die leeren Restaurants.
  2. Sie ziehen Ihr Smartphone und googlen das nächste Restaurant mit guten Bewertungen.

Die Grundannahme dabei ist, dass das was anderen gut gefällt, wahrscheinlich auch uns selbst gefällt. Es wird als positiv gewertet, wenn viele Menschen etwas tun oder gutheißen, frei nach dem Motto „…da muss ja was dran sein“. Das ist auch der Grund, warum Bewertungen im Internet so mächtig geworden sind: Viele Menschen orientieren sich an den Meinungen der „Mehrheit“ und werten dies als Qualitätsmerkmal. Deshalb ist es auch so wichtig, die Anzahl der Bewertungen mit anzuzeigen, denn nur so kann eine Meinung auch als „Mehrheitsmeinung“ identifiziert werden.

Die Mehrheit kann auch prima als „Lustmacher“ verwendet werden, so wie es z. B. die Facebook-Likes immer wieder demonstrieren: Wenn etwas viel „geliked“ wird, dann muss es wohl interessant (=gut) sein. Noch mächtiger ist es, wenn diese Likes von Freunden kommen und dies auch angezeigt wird.

Meinungen müssen glaubhaft(!) sein

Die Internetgemeinde hat längst den Marketing-Braten rund um Bewertungen „fragwürdiger Herkunft“ gerochen und vertraut deshalb nicht mehr blind jeder Form von Bewertungen. Es ist mittlerweile die Aufgabe des Website-Betreibers, die Glaubwürdigkeit seiner Bewertungen sicherzustellen und seine Nutzer davon zu überzeugen (siehe Abbildungen 1 und 2). Daher gibt es immer mehr „verifizierte“, „geprüfte“ oder „von unseren Kunden“-Gütesiegel, die das Vertrauen der Nutzer in die angezeigten Bewertungen (zurück)gewinnen sollen.

Auch das Berufen auf Studienergebnisse, die zeigen, „dass viele Menschen so und so denken oder handeln“ kann eine Möglichkeit sein die Nutzer zu überzeugen: Dabei spielt die eigentliche Studie für die Meisten eine untergeordnete Rolle, vielmehr ist entscheidend, dass die Mehrheit so denkt oder handelt.

Je eher wir uns mit der Mehrheit identifizieren können, desto eher handeln wir wie sie

Ein wichtiger Aspekt, der darüber entscheidet, ob wir das Verhalten einer anderen Person beachten, ist die Ähnlichkeit zu uns selbst (wie bereits im zweiten Teil dieser Serie vorgestellt:

The Liking Bias. Je ähnlicher uns eine andere Person ist, desto eher schenken wir ihr Beachtung und schätzen ihre Meinung. Dies ist auch beim Herdentrieb enorm wichtig. Daher sollten Sie, wann immer möglich, den Bezug Ihrer Nutzer zu der referenzierten (Mehrheits-)Gruppe aufzeigen. Schreiben Sie bei Ihren Cross-Sellings nicht einfach „Ähnliche Artikel“. Schreiben Sie stattdessen „Kunden, die diesen Artikel kauften, interessierten sich auch für folgende Produkte“. Dadurch stellen Sie einen Bezug zwischen dem Nutzer und der angezeigten „Mehrheit“ her. Es werden Produkte von Personen angezeigt, die „in einer ähnlichen Situation“ waren (=Kaufentscheidung, bei der das aktuell aufgerufene Produkt ebenfalls in der Auswahl stand).

Ein anderes Beispiel: Wenn ein Nutzer eine Hose in der Größe 42 betrachtet, dann könnte der zugehörige Cross-Selling-Titel lauten: „Was haben andere Kunden mit der Größe 42 angesehen?“. Das erscheint zunächst nach nicht viel, aber Sie stellen sofort einen Bezug zur Gruppe der „42er“ her. Ergo: Versuchen Sie unbedingt, den Bezug des Nutzers zur angezeigten Mehrheitsmeinung herzustellen.

Social Proof und das Ähnlichkeits-Prinzip gelten auch für Bilder

Social Proof heißt auch: Zeigen Sie auf Bildern „Menschen wie du und ich, die es genauso machen“. Sie repräsentieren die Mehrheit und stellen gleichzeitig den Bezug zum Nutzer her. Wenn die Nutzer dadurch das Gefühl haben, dass sie zur Zielgruppe der Website gehören, entwickelt sich implizit die Annahme, dass Personen, die diese Website benutzen (und dort Bewertungen abgeben), ähnlich sein müssen wie sie selbst. Dadurch – Sie ahnen es bereits – verstärkt sich die Identifikation mit den Bewertungen und die Mehrheitsmeinung wird umso relevanter für die Person.

Bessere Empfehlungen durch Social Proof

Zunehmend beliebt geworden ist im Internet das Anpreisen eines Produkts als „Unsere Empfehlung“. Doch immer wieder stelle ich in UX-Tests fest, dass die Nutzer mit solchen Empfehlungen nichts anfangen können und im schlimmsten Fall sogar negative Emotionen entwickeln: „Wieso wird mir das empfohlen? Da will mir der Anbieter doch nur etwas andrehen.“

Empfehlungen sollten deshalb immer begründet sein, damit sie für den Nutzer nachvollziehbar sind. Auch hier hilft Social Proof: Bewerben Sie ein Produkt beispielsweise mit „69 % unserer Kunden entscheiden sich für diesen Tarif“, so machen Sie nichts anderes, als den Herdentrieb dafür einzusetzen, einer Empfehlung mehr Argumentationskraft zu verleihen (siehe Abbildung 3).

  Abb. 3: Mit „Social Proof“ begründete Empfehlung auf yellostrom.de


Abb. 3: Mit „Social Proof“ begründete Empfehlung auf yellostrom.de

Wie Sie die „Überzeugungskraft“ Ihrer Website ermitteln und optimieren können

Die folgende Liste zeigt, welche Methoden dabei helfen können für eine Website zu ermitteln, welche Überzeugungskraft sie auf Ihre Nutzer ausübt:

Fragestellung Methode
Wie werden meine „Überzeugungsansätze“ (z. B. Bewertungen, Empfehlungen, Bildansprache,…) von den Nutzern bewertet und wahrgenommen? Mit einem UX-Test können Sie in Erfahrung bringen, wie Nutzer auf Ihre Überzeugungsmaßnahmen reagieren und welche Reaktionen sie in ihnen auslösen.
Welche Argumente überzeugen meine Nutzer am meisten? Worauf sprechen diese an? Mit Personas haben Sie Ihre Zielgruppe stets im Blick und können die überzeugendsten Maßnahmen und Argumente für Ihre Zielgruppe ableiten.
Was ist meinen Nutzern bei einer Kaufentscheidung wichtig? Welche Informationen und Argumente sind ausschlaggebend? Mit einem Nutzertagebuch können Sie genau ermitteln, welche Informationen und Argumente bei Ihren Nutzern letztlich zur Kaufentscheidung führen.

Fazit

Vor allem bei kurzfristigen Entscheidungen und bei solchen, die unter Unsicherheit getroffen werden, benutzen Menschen bei ihrer Entscheidung gerne die Herdentrieb-Heuristik. In unserem Alltag ist es einfach unmöglich, immer eine fundierte, eigene Meinung zu haben. Daher beziehen wir uns gerne auf das, was (viele) andere machen und verhalten uns ähnlich. Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit ein paar Beispielen zeigen, wie Sie dieses psychologische Prinzip auf eine Website übertragen können.

Behalten Sie dieses Prinzip im Hinterkopf, wenn Sie über die Optimierung Ihrer Website nachdenken. Die Mehrheit ist ein starkes Argument, insbesondere, wenn diese Mehrheit einen direkten Bezug zum Nutzer hat.

Portraitfoto: Ole Kleinert

Ole Kleinert

User Experience Consultant

Alumni-eresult GmbH

Bisher veröffentlichte Beiträge: 1

Ein Kommentar

  • Hallo Ole,
    toller Artikel! Auch wenn wir alle glauben, etwas ganz Besonderes und nicht dem „Herdentrieb“ unterworfen zu sein, verhalten wir uns doch meist wie die Crowd. Evolution oder Dummheit? Vermutlich ein wenig von beidem! ;)))
    VG, Petra

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