Ästhetik auf Websites messen – klassische vs. expressive Ästhetik

Eine Hand hält gelbe Bliumen in der Hand vor einer Blumenwiese.

Lange galt die ästhetische Gestaltung als zusätzliches Accessoire einer Website, „nice to have“, aber im Grunde nicht wichtig oder ausschlaggebend für die Nutzung einer Seite.
Diese Sicht auf Website-Ästhetik ist überholt. Heute gilt die Ästhetik, neben Usability und Inhalt, als wichtige Rezeptionsdimension bei der Wahrnehmung von Websites.[1] Die Ästhetik einer Seite ist ein guter Prädiktor, um vorherzusagen wie angenehm und schön die Seite beurteilt und erlebt wird.[2] Insbesondere auf den ersten Eindruck wirkt sich die Ästhetik maßgeblich aus. Ihr kann damit eine „Türöffner-Funktion“ zukommen, die vor allem bei Neukunden wichtig sein kann, um ihnen einen bestmöglichen Ersteindruck zu vermitteln und sie auf der Seite zu halten.[1]

Die visuelle Ästhetik nach Thielsch ist das subjektiv empfundene Wohlgefallen.[3] Ästhetische Wahrnehmung zeichnet sich durch einen positiven emotionalen Eindruck und eine positive kognitive Bewertung ab. Die ästhetische Rezeption einer Seite ist demnach eng verbunden mit dem subjektiven Erleben, sowie der kognitiven Beurteilung, und stellt daher eine wichtige Komponente dar, möchte man die User Experience erfassen und messen.

Lavie und Tractinsky fanden in einer explorativen Untersuchung zwei entscheidende Dimensionen der Wahrnehmung visueller Ästhetik, die sich jeweils auf unterschiedliche Aspekte der Wahrnehmung von Websites beziehen und sich, über verschiedene Studien hinweg, als sehr beständig zeigten:[4]

  • Klassische Ästhetik: Dieser Faktor repräsentiert Qualitäten, die klassische Vorstellungen von Ästhetik umfassen, verbunden mit der Idee einer natürlichen Ordnung von Dingen. Dieses entspricht früheren Annahmen der Ästhetik-Forschung, dass universelle Regeln bestimmen, wie Menschen ästhetisch angesprochen werden. Klarheit und Struktur spielen innerhalb dieser Dimension eine wichtige Rolle. Klassische Ästhetik erhöht Verständlichkeit, hilft bei der Deutung von Dingen („sensemaking“) und reduziert Missverständnisse.
  • Expressive Ästhetik: Diese Ebene der visuellen Ästhetik repräsentiert die Wahrnehmung der Kreativität und Originalität, die der Designer einfließen lässt. Visueller Reichtum, kreative Ideen und das Ausschmücken einer Seite stehen im Vordergrund. Stimulation erfolgt nicht über Ordnung, sondern durch Komplexität und Vielfältigkeit. Einzigartigkeit und Neuartigkeit sind im Zusammenhang mit dieser Dimension gefragt, dadurch soll expressive Ästhetik anregen, stimulieren und bindend wirken.

Klassische und expressive Ästhetik bilden Bewertungsebenen ab, auf deren Grundlage Nutzer beurteilen, wie schön oder angenehm sie einen Internetauftritt empfinden. Beide Dimensionen finden sich auch in dem von Lavie und Tractinsky entwickelten „measurement instrument of perceived visual aesthetics of web sites“ wieder, dass ich im folgenden mit PEA, für perceived aesthetics, abkürze.

PEA ist ein englischsprachiger Fragebogen, der die beiden vorgestellten Ästhetik- Dimensionen mit insgesamt zehn Items (pro Dimension fünf, s. Tabelle) erfasst. Das Instrument nutzt eine siebenstufige Likert-Skala, mit den verbalen Ausprägungen „strongly disagree“ und „strongly agree“. Die Reliabilität der beiden Skalen ist hoch: Die Cronbachs-Alpha-Werte für die interne Konsistenz der klassischen Ästhetik liegen bei .85 und .86?, die der Expressiven bei .87 und .86? (n=384, im Durchschnitt 27 Jahre).[4] Der Itempool des PEA wurde mit Hilfe einer Literaturrecherche, sowie Vorschlägen zu Items von elf Experten im Bereich der Human-Computer-Interaktion, erstellt. In zwei Untersuchungen (u. a. auf eCommerce Seiten) wurde die Liste der Items systematisch verdichtet, indem, aus dem zuvor bereits durch Analysen reduzierten Pool, alle Items, die in Faktorenanalysen unter 0.5 luden oder hohe Ladungen auf beiden Faktoren aufwiesen, aus dem Frageset entfernt wurden. Die Zuordnung der übriggebliebenen Items auf die zwei gefundenen Faktoren war in beiden Untersuchung gleich, was die interne Validität der Struktur, d. h. die Teilung in klassische und expressive Ästhetik, untermauert.

Untersuchungen zu anderen Merkmalen von Produktqualitäten (Usability, pleasure, service quality) zeigten mittlere bis starke Interkorrelationen. Der Faktor klassische Ästhetik korrelierte dabei wesentlich höher mit der wahrgenommenen Usability (r=.68 und .78?), als die expressive Ästhetik (r=.46 und .40?).[4] Eine Erklärung hierfür gibt ein statistisches Modell, das mit Hilfe des PEA entworfen wurde: Das Item clear design, das der Dimension der klassischen Ästhetik zugerechnet wird, lud ebenfalls auf dem Faktor Usability und reflektiert damit beide Dimensionen. Dies wirft auch ein neues Licht auf Studien, die hohe Korrelationen zwischen Ästhetik und Usability finden: Klassische Ästhetik steht Konzepten der traditionellen Usability näher, was unter anderem auch daran liegen könnte, dass sie Aspekte der Usability, z. B. leichte Erlern- und Erinnerbarkeit, unterstützt, während Kreativität, Herausforderung und Stimulation durch Andersartigkeit oder Überraschungen mit diesen Konzepten nicht vereinbar sind.

Faktoren und Items des Fragebogens

Faktoren und Items des Fragebogens PEA mit dazugehörigen Faktorladungen und Cronbachs-Alpha-Werten (n=384, 173 weibl., 208 männl.; im Durchschnitt 27 Jahre)*.[4]

* Es werden jeweils zwei Werte angegeben, da die, aus der Untersuchung, erhaltenen Daten geteilt wurden, um sie später über Kreuz zu validieren. Das erste Datenset wurde einer initialen konfirmatorischen Faktorenanalyse unterzogen (Modus der model generation). Die gefundenen Modelle wurden dann auf die Daten des zweiten Sets angewandt.

Die Validierung des Instrumentes und des zu Grunde liegenden Modells bekommt von den Autoren große Aufmerksamkeit und konnte, im Zusammenhang mit den empirischen Daten, bestätigt werden. Die zehn analysierten, endgültigen Items sind als Variablen geeignet, um das Modell abzubilden. Die Reliabilität für PEA ist ebenfalls zufriedenstellend. Bei einer Übersetzung ins Deutsche ist eine exakte Übersetzungsarbeit wünschenswert, um die hohe Validität und Reliabilität auch bei deutschen Items zu gewährleisten. Die Bewertung der Items ist nicht immer ganz einfach (z. B. clear, clean), aber sie sind auf alle Arten von Websites anwendbar. Die geringe Itemzahl bietet ebenfalls Vorteile, der zeitliche Aufwand ist gering und der Fragebogen ist daher geeignet, um einzelne Probanden auch eine größere Zahl von Websites bewerten zu lassen.

Für eine isolierte Betrachtung der Website-Ästhetik ist PEA durchaus gut geeignet. Um User Experience ganzheitlich zu messen sind jedoch auch andere Dimensionen von Belang. PEA berücksichtigt weder die Usability von Websites, noch andere Faktoren, wie Motivation, Symbolik oder Emotionen, die im Zusammenhang mit einer holistischen Auffassung von User Experience diskutiert werden, so dass das Instrument hier an seine Grenzen stößt.

Als wie wichtig erachten Sie Website-Ästhetik? Erscheint Ihnen die Unterscheidung zwischen klassischer und expressiver Ästhetik als sinnvoll? Haben Sie vielleicht vorher schon etwas von dem Erhebungsinstrument PEA gehört oder es sogar selbst ausprobiert? Kennen Sie andere Erhebungsinstrumente, die Website-Ästhetik erfassen? Über ihr Feedback zu diesem Thema würden wir uns sehr freuen.

Quellen & weiterführende Links

  • [1] Jaron, R. & Thielsch, M. T. (2009). Die dritte Dimension: Der Einfluss der Ästhetik auf die Bewertung von Websites. In: Planung & analyse, 1/2009, S. 22-25.
    Online verfügbar:
    http://www.thielsch.org/download/jaron_2009.pdf
  • [2] Schenkman, B. N., Jönsson, F. U. (2000): Aesthetics and preferences of web pages. In: Behaviour & Information Technology, 19 (5)/2000, S. 367 377.
  • [3]Thielsch, M. T. (2008): Jenseits von Usability: Website-Ästhetik. In: Röse, K.; Brau, H. (Hrsg.): Usability Professionals 2008. Stuttgart: German Chapter der Usability Professionals Association, S. 1-4.
    Online verfügbar:
    http://www.thielsch.org/download/UP08_Thielsch_2008.pdf
  • [4] Lavie, T.; Tractinsky, N. (2004): Assessing dimensions of perceived visual aesthetics of websites. International Journal of Human-Computer Studies 60(3)/2004, S. 269-298.
    Online verfügbar:
    http://burdacenter.bgu.ac.il/publications/finalReports1999-2000/TractinskyLavie.pdf
Portraitfoto: Julia Müller

Julia Müller

Doktorandin & Usability Consultant

Universität Erfurt

Bisher veröffentlichte Beiträge: 2

6 Kommentare

  • Danke für diesen sehr interessanten Beitrag! Eine Frage:

    „PEA berücksichtigt …[nicht] andere Faktoren, wie Motivation, Symbolik oder Emotionen, die im Zusammenhang mit einer holistischen Auffassung von User Experience diskutiert werden…“

    Was ist in diesem Zusammenhang unter Symbolik zu verstehen und kennen Sie entsprechende Literatur, die darauf eingeht?

  • Julia Müller

    Hallo,

    Ein Modell was neben der Ästhetik auch die genannten Faktoren berücksichtigt ist das holistische Modell der User Experience, das Sascha Mahlke im Rahmen seiner Dissertation entwickelt hat. Mahlke unterscheidet darin, neben der Dimension emotionale User Reaktionen, drei Subkonstrukte nicht-instrumenteller Qualitäten (i. w. S. alles was über traditionelle Usability-Vorstellungen hinausgeht):Ästhetik, Symbolik und Motivation.
    Symbolik wird unterteilt in kommunikative und assoziative Symbolik. Kommunikative Aspekte betreffen die Nachricht, die ein Produkt vermittelt. Es werden Aspekte der Personalität (Selbstdarstellung, Abgrenzung zu anderen) oder der Gruppenzugehörigkeit vermittelt. Diese Attribute dienen der Darstellung der sozialen Identität und des Status` (sie sind vergleichbar mit der Dimension der hedonischen Qualität – Identität im Modell Hassenzahls, s. http://www.usabilityblog.de/2010/02/das-geheimnis-attraktiver-produkte-und-wie-man-attraktivitat-messen-kann/ ).
    Assoziative Aspekte sind eng verknüpft mit persönlichen Erinnerungen. Diese Erinnerungen können sich sowohl auf Erfahrungen mit dem Produkt an sich, aber auch auf einzelne Eigenschaften beziehen, so evoziert ein metallisches Oberflächendesign beispielsweise eher Assoziationen zu Präzision und Exaktheit, als eine hölzerne Struktur.
    Auf eine differenzierte Betrachtung dieser Faktoren werde ich in späteren Artikeln noch genauer eingehen, aber ich hoffe diese Antwort ist aufschlussreich für Sie?
    Literatur zum Thema: Mahlke, Sascha (2008): User Experience of Interaction with Technical Systems. Theories, Methods, Empirical Results, and Their Application to the Design of Interactive Systems. Saarbrücken: VDM Verlag.

  • Danke, Frau Müller, für diese Literaturhinweise. Freue mich auf Ihre kommenden Beiträge.

  • Naja, mal sehen, wie lange der Mensch noch darüber entscheiden darf, was schön ist und was nicht. Es gibt auch Menschen, denen gefallen bestimmte „Schönheitsfehler“ so sehr, dass sie gerade dadurch für sich das Objekt anziehend finden. Übrigens auch bei Menschen 😉

  • Die Wirkung von Ästhetik ist in der Tat nicht zu unterschätzen, wie ich hier zusammengefasst habe… http://shivanireutlingen.wordpress.com/2009/12/20/asthetik-wirkt-wie-schmerzmittel/

  • Viktoria Hager

    Hallo Frau Müller!

    Kennen Sie vielleicht ein Beispiel wo PEA angewendet wurde?
    Vielen Dank für Ihre Rückmeldung!

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