Chancen und Herausforderungen des AAL-Trends

Eine Apple Tastatur und Maus wird auf einem Holztisch von zwei Händen bedient.

Im ersten Teil wurde der Begriff AAL (Ambient Assisted Living) erklärt, der sich wie SmartHome mit dem Thema der Automatisierung im eigenen Zuhause beschäftigt, sich jedoch an der immer wachsenden Zielgruppe der Senioren orientiert. Nach einer kurzen Vorstellung verschiedener Produkte, folgt jetzt im zweiten Teil die Abwägung zwischen Chancen und Herausforderungen, die dieses Thema mit sich bringt. Außerdem soll die Einstellung der Zielgruppe, die Wichtigkeit des Themas für UX-Experten und die Frage, warum AAL bisher nicht weiterverbreitet ist, geklärt werden.

Chancen und Herausforderungen von AAL

Die Vorteile von AAL liegen klar auf der Hand. Die Senioren können in Selbstständigkeit länger zu Hause bleiben, auch wenn die Angehörigen nicht mit im selben Haus leben. Sie werden in den Dingen unterstützt, die sie vielleicht vergessen würden oder die mit zunehmendem Alter beschwerlicher werden. Für die Angehörigen ist es eine große Erleichterung, dass sie trotz räumlicher Entfernung bei Problemen sofort und automatisch verständigt werden und dass die Sicherheit der Senioren durch beispielsweise Rauchmelder, Herdabschaltung und automatisch schließenden Türen gesichert ist. Wichtig dabei ist, dass die Produkte diskret sind und den Nutzer nicht als pflegebedürftig und alt stigmatisieren.

Es gibt auch Nachteile beispielsweise ethische Probleme und der Datenschutz.

Bei allen Vorteilen gibt es jedoch auch Nachteile, die sich zum einen mit dem Datenschutz beschäftigen und zum anderen mit den ethischen Fragen, die die Automatisierung mit sich bringt. Der größte Sorgenfaktor bzgl. des Datenschutzes ist die Sicherheit der sensiblen Daten. Viele der AAL-Produkte sind über das Internet steuerbar. Trotz allem Komfort besteht dadurch die Möglichkeit, dass man sich von außen in das System einhacken könnte. Als Gegenmaßnahme gibt es nun schon einige AAL-Produkte, die beispielsweise über Funk oder andere drahtlose Standards kommunizieren oder die Daten lokal und nicht in der Cloud speichern. Bezüglich der Kameras müssen nicht nur Daten, sondern auch Videoaufnahmen geschützt werden. Anbieter wie netatmo bieten daher die Funktion an, dass die Videoaufzeichnung nur aktiviert wird, wenn fremde Gesichter (bspw. Einbrecher) erkannt werden – bei Familienmitgliedern ist die Videoaufzeichnung deaktiviert.

Ethische Probleme bestehen vor allem dadurch, dass eine Balance zwischen dem Wohl des Seniors und dessen Grad an Selbstbestimmung gefunden werden muss. Auch wenn die Angehörigen gerne die gesamte Wohnung mit AAL-Technik inklusive Hör- und Sichtüberwachung ausstatten würden, muss Rücksicht auf die Privatsphäre des Seniors genommen werden. Schwierig wird dies dadurch, dass weniger technikaffine Personen die weitreichenden Möglichkeiten der AAL-Technik und die Verbreitung der Daten über das Internet schwer einschätzen können. Eine zusätzliche Problematik besteht bei pflegebedürftigen Personen wie beispielsweise Demenzkranken, die nur bedingt oder tagesformabhängig entscheidungsfähig sind.

Beratung zum Thema AAL

Beratung ist wichtig: Auch für die Zielgruppe, die Senioren.

Wichtig für die Klärung und Einhaltung der ethischen Richtlinien ist dementsprechend eine tiefgehende Beratung sowohl der Angehörigen, als auch der Senioren. Diese sollte alle Möglichkeiten von AAL mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen aufzeigen und individuell beraten können. Denn, wie eine Studie zeigt, fürchtet sich nur einer von zehn Senioren vor der Technik, knapp dreiviertel der Befragten besitzen ein Smartphone und 64 Prozent der befragten Senioren würde auch bis zu 100 Euro monatlich für dich AAL-Produkte ausgeben – einzig die richtige Beratung fehlt. Ehrenamtliche Stellen wie die Beratungsstelle „Seniorenfachberatung Wohnen & Technik“ in Karlsruhe haben diese Notwendigkeit schon erkannt und umgesetzt. Ein Mitarbeiter erzählt in einem Interview: „Die Offenheit nimmt zu. Und wenn Senioren die Hilfsmittel und Geräte in einer Fachberatung angemessen erklärt bekommen und diese dabei sehen und anfassen können, wächst die Akzeptanz.“

Was denkt die Zielgruppe?

Die Hälfte der 1.500 befragten Senioren glaubt, dass sie durch AAL-Lösungen länger zu Hause leben könnte und sogar 61 Prozent sind der Meinung, dass AAL-Produkte die Lebensqualität steigern kann. Dabei werden Produkte für die Sicherheit zu Hause (wie mobiler Notruf, Bewegungsmelder oder Sturzsensoren) am sinnvollsten bewertet, dicht gefolgt von SmartTV und automatischer Heizungssteuerung. Auf dem letzten Platz liegen medizinische Assistenzsysteme, die an die Medikamenteneinnahme erinnern oder Vitalwerte messen.

AAL als wachsendes Arbeitsfeld für UX Experten

Die Usability der AAL-Produkte spielt eine wichtige Rolle in der Akzeptanz und Nutzung. Die Angehörigen gehören meistens der Generation an, die sich einfach im Internet über Bewertungen, Erfahrungsberichte, Informationen und Gebrauchsanleitungen informieren können und auch im Umgang mit Technik oft erfahrener sind. Doch für die Senioren selbst ist der Umgang mit den AAL-Produkten oft Neuland. Die Hersteller sollten dementsprechend die Senioren selbst als Zielgruppe im Fokus haben. Wenn die gesamte UX auf die Senioren abgestimmt ist, werden diese von passiven Nutzern, die von ihren Angehörigen ein ihnen unbekanntes Gerät installiert bekommen haben, zu aktiven Nutzern. Dadurch können sie leichter mit den Geräten interagieren und individuell auf sich anpassen. Dabei ist bei aller altersgerechten Anpassung mit größerem Display, Tasten und Schrift das Design nicht zu vergessen. Notrufknöpfe existieren schon lange, werden aber oft nicht bei sich getragen. Gründe dafür sind unter anderem, dass sie unpraktisch sind (bspw. nicht wasserfest, obwohl viele Stürze unter der Dusche passieren), zu klobig oder zu stigmatisierend sind.

Ein Produkt, das mit Gebrechlichkeit, Unselbstständigkeit und Krankheit assoziiert wird, wird weniger Anklang bei Senioren finden, die nur eine Absicherung für den Notfall wünschen, sich aber noch aktiv und jung fühlen.
So finden beispielsweise zwar 79 Prozent der in einer Studie befragten Senioren den mobilen Notruf sinnvoll – doch nur sechs Prozent nutzten ihn auch. Ein Start-up Unternehmen sah den Grund für dieses Problem vor allem im Design des Notfallknopfes, das unpraktisch und stigmatisierend war, da es mit Hilfsmittel für Senioren assoziiert wurde. So entwickelten sie vor diesem Hintergrund eine Smart Watch für Senioren, die die Möglichkeit zum Notruf, eine Navigation nach Hause und die Erinnerung an Medikamenteneinnahme beinhaltet, dies aber dezent hinter einem schönen Design verbirgt (s. Abb. 8).


Abb. 8: Die Uhr Kanega vom Start-up Unaliwear (links) im Gegensatz zu einem handelsüblichen Notfallknopf (rechts).

Ein weiterer wichtiger Punkt der bzgl. einer guten Usability beachtet werden muss, ist die erforderliche hohe Fehlertoleranz. Der Leitfaden zum Thema „Ethische Fragen im Bereich Altersgerechter Assistenzsysteme“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung schlägt ein modular bzw. graduell aufgebautes Assistenzsystem auf, das an den Grad der Selbstbestimmung des Seniors angepasst ist. So könnten unerwünschte Folgen oder folgenschwere Fehler verringert oder unmöglich gemacht werden. Dies ist auch insofern wünschenswert, als dass sich durch erfolgreiche Bedienung die User Experience verbessert, was wiederum die Motivation der Nutzer erhöht, sich mit dieser neuen Technik auseinander zu setzen.

Auch sollte die Wartung, Nachrüstung und Einstellungsänderung entweder nur sehr selten notwendig sein, oder aber mit so guter Usability versehen sein, dass der Senior selbst diese durchführen kann. Ansonsten wird das Produkt beim ersten Batteriewechsel oder bei der ersten Fehlfunktion nicht mehr genutzt.

Mit einer guten User Experience, die ab dem Entscheidungsprozess beginnt und bis weit über die Erstnutzung hinausreicht, kann dazu beigetragen werden, dass Senioren sich sicherer in ihrer gewohnten Umgebung fühlen und weniger auf andere angewiesen sind.

Innovationshürden für AAL

Da das Thema AAL auch von politischem Interesse ist, begann das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) schon im Jahr 2004 mit einem europäischen Förderungsprogramm zum Thema AAL. Dies hat zum Ziel, Projekte zu fördern und auszuschreiben, die sich mit selbstständigem Wohnen, Vernetzung der regionalen Partner, übergeordneter Begleitforschung und ganzheitlicher Geschäftsmodelle beschäftigen.

Auch wird laut einer Studie weiterhin ein Wachstum im AAL-Bereich von 1,2 Milliarden US-Dollar in 2015 auf 4 Milliarden US-Dollar in 2020 erwartet. Das Potenzial von AAL ist also bekannt, doch es liegt laut AAL Deutschland an vier Gründen, warum dieses nicht vollständig ausgeschöpft werden kann:

Die fünf Hürden sind laut AAL Deutschland: Problem der Kostenübernahme, finanzieller Backround eigentlich vorhanden, mangelnde Kenntnis, Beratung wird nicht angenommen oder ist nicht bekannt.

Zum einen mangelt es an der Kostenübernahme durch Sozialhilfeträger, Pflegeversicherung und Krankenkassen. Es werden zwar Wohnumfeld verbessernde Maßnahmen übernommen, jedoch ist dafür eine bewilligte Pflegestufe erforderlich, die oft bei Beginn der Pflegebedürftigkeit noch nicht erreicht ist.

Gleichzeitig besteht eine geringe Bereitschaft der Senioren zur privaten Finanzierung. Wobei laut einer Studie immerhin 64 Prozent der Befragten 100 Euro im Monat für Technik ausgeben würde, die ihnen ein selbstständiges Wohnen erlauben würden.

Dies leitet zur dritten Hürde über: den mangelnden Kenntnissen über vorhandene Produkte und Dienstleistungen. Auch mit dem Betrag von 100 Euro im Monat wären Maßnahmen möglich, die das Leben erleichtern würden. Doch die Masse an Produkten schüchtert ein und verhindert einen klaren Überblick. Für diese Beratungszwecke haben sich jedoch schon ehrenamtliche Beratungsstellen gegründet (s.o).

Auch die vierte Hürde, die fehlende Kenntnis im Einsatz von Assistenzsystemen, könnte durch genügend Beratung überwunden werden.

Haben Sie schon Erfahrungen im Umgang mit AAL-Produkten sammeln können?
Oder kennen Sie jemanden in Ihrem Umfeld?

Wir interessieren uns für Ihre positiven und negativen Erfahrungsberichte!
Melden Sie sich gerne unter: dorothee.jung@eresult.de

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