Rechts ist wo das Auge links ist? Usability beim Kontaktlinsenkauf

Neulich beim Kontaktlinsenkauf in einem großen Kontaktlinsen-Online-Shop sollte ich meine Dioptrien-Werte in eine Tabelle eintragen. Und wohin mit dem Wert für das rechte Auge? In die linke Tabellenspalte!


Beispiel: Screenshot-Ausschnitt von lensbest.de

Beispiel: Screenshot-Ausschnitt von lensbest.de



Sollten Werte für rechts nicht der Einfachheit halber auch in der rechten Spalte stehen? Würde das nicht eher den Erwartungen der Nutzer entsprechen – und damit einer klassischen Usability-Empfehlung?

In den Annahme, es handele sich um einen kleinen „Usability-Bug“ informierte ich den Kontaktlinsen-Online-Shop per Kontaktformular. Ich bekam sehr schnell die folgende freundliche Antwort:

„Es ist so, dass auf dem Brillen/Kontaktlinsenpass immer zuerst der rechte und dann der linke Wert angegeben wird, weshalb wir dieses Schema für unseren Shop übernehmen müssen, um Fehlbestellungen zu vermeiden.“

Zugegeben, ich hatte die Kontaktlinsenbestellung ohne Kontaktlinsenpass oder -rezept vorgenommen, sondern stattdessen die Werte von den Packungen abgelesen.

Die Angabe des Shop-Mitarbeiters ist allerdings richtig, etwa so sehen Brillenrezepte aus:


Abbildung 1: Ausschnitt aus dem „Sehhilfenverordnung Muster 2008“ von Lumu (talk) - Muster 8 (7.2008). Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons.

Abbildung 1: Ausschnitt aus dem „Sehhilfenverordnung Muster 2008“ von Lumu (talk) – Muster 8 (7.2008). Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons.


Dieses sogenannte „Tabo-Schema“ (TABO von „Technischer Ausschuss für Brillenoptik“) ist schon etwa 80 Jahre alt. Da die Benutzer dieses Formulars, also Augenärzte und Optiker, dem Patienten/Kunden gegenübersitzen, ist die Anordnung für rechtes (R) und linkes Auge (L) verständlich. Für diese Nutzergruppe dürfte dieses Formulardesign Fehler vermeiden und entspricht damit durchaus Usability-Empfehlungen.

Für Patienten war das Formular nicht gedacht, sie hatten allenfalls die Aufgabe, das Augenarzt-Rezept dem Optiker zu überreichen.

Im Zeitalter der Online-Shops hat sich das geändert. Kunden können dort selbständig Brillen und Kontaktlinsen einkaufen – aber dazu müssen sie dort auch selbständig ihre Augen-Korrekturwerte eingeben. Dies wird erleichtert – vielleicht sogar gefördert? – durch die Verbreitung der handlichen Brillen- oder Kontaktlinsen-„Pässe“, die einige Augenoptiker ihren Kunden überreichen und die diese Werte enthalten.

Hier ein Beispiel für einen Brillenpass:


Abbildung2: „Brillenpass 01“ von selbst - eigener Pass. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikipedia.

Abbildung2: „Brillenpass 01“ von selbst – eigener Pass. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikipedia.


Laut Wikipedia gibt es „keine verbindlichen Richtlinien oder Normen hinsichtlich Inhalt, Struktur oder Aussehen eines Brillenpasses, weshalb sie sich meist von Augenoptiker zu Augenoptiker unterscheiden.“ Im obigen Beispiel (Abbildung 2) sind die Werte für das rechte Auge (R) ÜBER den Werten für das linke Auge (L) angeordnet (analog zur Tabelle auf dem Brillenrezept, vergleiche Abbildung 1).

Eine kurze Bilderrecherche im Internet zu „Brillenpass“ zeigt, dass dort die Anordnung „rechtes Auge oben, linkes Auge unten“ sehr häufig ist.

Was bedeutet das für die Online-Shop-Formulare bei Brillen- und Kontaktlinsenwerten? Ist es fehlerträchtiger, die auf dem Brillenpass erstgenannten Werte für das rechte Auge im Online-Shop-Formular links oder rechts einzutragen?

Als Diplom-Psychologin fallen mir hierzu zwei sich widersprechende Hypothesen ein:

a) Als Nutzer der lateinischen Schrift sind wir Lesen und Schreiben von links nach rechts gewöhnt – daher werden die ersten Werte (hier: für das rechte Auge) standardmäßig links in die Tabelle eingetragen (erste Spalte).
b) Werte für das rechte Auge werden rechts eingetragen, Werte für das linke Auge links.

Hypothese b) setzt nach meiner Meinung voraus, dass die Werte „rechts“ und „links“ beim Eintragen ins Formular inhaltlich bewusst sind und entsprechend behandelt werden. Hypothese a) geht eher von einer Art „Autopilot-Modus“ aus: Die Werte werden „automatisch“ übertragen, ohne über ihren Inhalt nachzudenken.

Spätestens an dieser Stelle sollte klar sein: Das müsste empirisch getestet werden. Was erwarten die Nutzer des Online-Shops, wohin die Werte für das rechte und das linke Auge eingetragen werden sollen? Bei welcher Formular-Anordnung passieren weniger Fehler? Und macht es einen Unterschied, woher die Werte stammen, ob von Brillenrezepten, Brillenpässen, Kontaktlinsenpackungen, aus dem Gedächtnis? Und welche dieser „Wertequellen“ werden am häufigsten genutzt?

Leider ist mir unbekannt, ob der Online-Shop, bei dem ich auf dieses Thema gestoßen bin, eine entsprechende Studie durchgeführt hat. Falls Sie eine solche Studie kennen, freue ich mich sehr über eine Nachricht.

Die Online-Kontaktlinsen-Shops sind sich diesbezüglich anscheinend auch nicht einig. Ein Vergleich ihrer „Augenkorrekturwert-Formulare“ spiegelt alle Möglichkeiten wider: von 22 Online-Kontaktlinsen-Shops (unterschiedlicher Größe und Bekanntheit)

  • haben 6 die Anordnung: Werte für rechtes Auge LINKS, für linkes Auge RECHTS,
  • 7 haben die umgekehrte Anordnung: linkes Auge links, rechtes Auge rechts,
  • 1 Shop folgt vielen Brillenpässen: rechtes Auge oben, linkes Auge unten,
  • 5 Shops umgehen das Problem, indem man nur die Werte für EIN Auge eintragen kann. Für andere Werte beim anderen Auge muss separat eine weitere Packung bestellt werden.
  • Bei 3 Shops ermöglicht ein Mausklick auf einen Link das Eintragen weiterer Werte, mal untereinander, mal nebeneinander…

Hier beispielhaft einige Formular-Ausschnitte einzelner Kontaktlinsen-Online-Shops:


(von linsenpate.de)

(von linsenpate.de)


(von meinelinse.de)

(von meinelinse.de)


(von brille24.de)

(von brille24.de)


(von discountlens.de)

(von discountlens.de)

Ich bin gespannt auf Ihre Meinung und Erfahrungen: Was für ein Online-Kontaktlinsen-Formular ist aus Usability-Sicht empfehlenswert?

Portraitfoto: Friederike Baum

Friederike Baum

Selbständige Webdesignerin und Computertrainerin

Webwicklerin

Bisher veröffentlichte Beiträge: 1

5 Kommentare

  • Simone H.

    Interessanter Artikel! Als ich den ersten Screenshot gesehen habe, dachte ich mir ‚Wer hat sich das denn ausgedacht, das ist doch total verwirrend‘ und habe direkt – ohne weiterzulesen – erst einmal auf meinem Brillenpass geschaut, wie dort die Werte angegeben sind. Dann war mir alles klar: Werte für das rechte Auge zuerst, darunter die Werte für das linke Auge. Aus diesem Gesichtspunkt macht es folglich Sinn und entspricht Ihrer Hypothese a), zuerst die Werte für das rechte Auge abzufragen.

    Da ich davon ausgehe, dass die meisten Besteller ihre Werte von einer Verordnung oder einem Brillenpass ablesen werden und diese nicht im Kopf haben, macht eine Orientierung am Brillenpass bzw. der Verordnung sicherlich am meisten Sinn.
    Allerdings würde ich annehmen, dass für die beste Usability – im Sinne von geringster Fehleranfälligkeit und geringstem ‚kognitiven Aufwand‘ – eine Anordnung der Zeilen und Spalten wie auf dem Brillenpass bzw. auf der Sehhilfenverordnung optimal wäre. D.h. wenn es bei Brillenpässen üblich ist, dass die Werte für das rechte Auge in der 1. Zeile und danach die Werte für das linke Auge in der 2. Zeile stehen, dann sollte man dies auch 1:1 auf der Website so umsetzen. Auf diese Weise kann der Nutzer die Werte einfach zeilenweise abtippen und muss sich nicht noch kognitiv mit dem Transponieren von Zeilen und Spalten oder dem Beachten von links und rechts befassen.

  • Michael Treml

    Da sich der Shop, in dem ich einkaufe, meine Einstellungen beim ersten Einkauf gemerkt hat, weiß ich gar nicht mehr, wie ich das dort eingegeben hatte. Weil ich die Kontaktlinsen von dort aber auch immer ohne Links-Rechts-Markierung erhalte und dann erst recht wieder selbst nachsehen muss, welche denn nun für welches Auge sind, sehe ich aber auch nicht viel Sinn darin, das schon im Bestellformular anzuführen. Da schreibt man dann schlimmstenfalls die Werte extra noch einmal um, nachdem man bemerkt hat, dass man sie verkehrt eingetragen hat – dabei ist die Zuordnung in Wahrheit vollkommen egal.

    Die Anordnung Rechtes-Auge-zuerst hat mich in dem Screenshot jetzt eigentlich gar nicht irritiert, obwohl ich die Argumentation für Links-zuerst vollkommen schlüssig finde. Eventuell liegt das daran, dass ich mir angewöhnt habe immer zuerst die rechte Kontaktlinse ins Auge zu geben und auch wieder zuerst herausnehmen. Das wiederum könnte daran liegen, dass ich Rechtshänder bin und das rechte Auge da einfach näher liegt.

  • Vielen Dank für einen tollen Beitrag zum Kontaktlinsenkauf in einem Online-Shop. Gut zu wissen, wie ein Brillenpass aussieht. Meine Bekannte hat nächste Woche einen Termin beim Augenoptiker und ich werde diese Information mit ihr gerne teilen.

  • Schlaumeier

    Da gäbe es auch eine andere Lösung zu..: Also, wenn man schon das linke Auge als erstes in unserem Land(links>rechts lesend) angibt, dann wäre es vielleicht ja auch möglich und somit normalerweise auch hilfreich sich die Spalten selbst als Augen vorzustellen? So wie bei einem Menschen halt. Oder einer Skulptur, da redet man ja auch von dem „rechten“ Auge auch wenn es als Gegenüberstehender das linke ist.

  • Jim

    Der Augenarzt ist der Schlüssel zu klarem Sehen, besonders für Kontaktlinsenträger. Ihr Fachwissen gewährleistet nicht nur die richtige Verschreibung, sondern auch die langfristige Gesundheit der Augen bei der Nutzung von Kontaktlinsen. Sie sind die Vertrauensperson, die für optimalen Tragekomfort und gesunde Augen sorgt.

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