Der Mom Test: Wie Sie Kunden richtig interviewen und herausfinden, ob Ihre Geschäftsidee gut ist – auch wenn Sie dabei jeder anlügt.

Cover Buch The Mom Test

Mit Nutzern zu sprechen ist die Grundlage für den Erfolg jedes Projekts. Nur wenn ich weiß, was die Nutzer wollen, kann ich etwas schaffen, was die am Ende kaufen. Diese Erkenntnis hat sich durchgesetzt – und doch machen wir alle es meist noch zu wenig: Mit den Nutzern sprechen.

Das hat vor allem zwei Gründe:

  1. Zu wenig Geld/Zeit
  2. Mangelnde Fähigkeiten

Bei beiden Problemen ist dieses Buch eine echte Hilfe:

Der Mom Test: Wie Sie Kunden richtig interviewen und herausfinden, ob Ihre Geschäftsidee gut ist – auch wenn Sie dabei jeder anlügt.

Gute Argumente für User Research

Wer mal wieder in einem Projekt ist, bei dem er sich schwertut, das Budget für die Nutzerinterviews zu sichern, der findet in dem Buch jede Menge gute Argumente. Und dieses Buch würde ich persönlich Startup-Gründern oder auch engagierten Stakeholdern im Unternehmen schenken, mit denen ich zu tun habe. Denn es macht ihnen auf 158 Seiten klar, wie wertvoll Nutzergespräche sind. Und vor allem nimmt es die Angst, solche Gespräche zu führen.

So bekommen wir eher unser Budget für die wichtigen Nutzerinterviews – und, auch hervorragend: So bekommen wir die Stakeholder vielleicht sogar dazu, bei diesen Gesprächen dabei zu sein.

So viel zum Hinderungsgrund 1, zu wenig Geld oder zu wenig Zeit.

Der Schwerpunkt des Buches liegt aber bei Punkt 2: den mangelnden Gesprächsfähigkeiten. Hier überzeugt der Autor Rob Fitzpatrick mit praxisnahen Tipps und viel Verständnis. Er schreibt z.B.:

Der Ratschlag, dass man mehr mit Kunden sprechen sollte, ist gut gemeint, aber wenig hilfreich. Ungefähr so wie wenn der Klassenstar seinem nerdigen Freund rät, ,sei doch einfach cooler’. Was solche Ratgeber vergessen zu erwähnen: das ist schwer.

Um es dem Leser leichter zu machen, gibt er viele, einfache Tipps für die Planung, Durchführung und Aufbereitung solcher Gespräche.

Der Autor kommt selbst aus der Programmierung und sagt von sich, er sei schüchtern. Daher hat er aus vielen nutzlosen Gesprächen gelernt und Erkenntnisse aus den Bereichen der User Experience, Lean Startup, Design Thinking, Kundenpflege und klassischem Verkauf zusammengetragen. Daraus hat er einen nett geschriebenen Ratgeber erstellt, der jedem hilft, der Gespräche mit Kunden führen will – oder muss.

Für Gründer geschrieben – für Researcher geeignet

Das Buch richtet sich vor allem an Unternehmensgründer, die wissen wollen, ob ihre Idee funktioniert. Die alles dafür tun müssen, ihre zukünftigen Kunden und Käufer kennen zu lernen, deren Erwartungen zu studieren, deren Probleme zu erfassen und deren Gefühle zu verstehen.

Aber auch wer als UX-Researcher arbeitet, wird viel lernen – nicht nur für Guerilla-Research. Es tut gut, einmal aus anderer Sicht Tipps für die Gesprächsführung zu bekommen. Insofern ist der Mom Test eine gute Ergänzung zum Moderator’s Survival Guide. Oder ein guter Einstieg, wenn man vor den über 300 Seiten des Survival Guide zurückschreckt.

Was hat es nun mit dem titelgebenden Mom Test auf sich, dem Mutter-Test?

Der ist der Schlüssel zur Lösung des Problems nutzloser Kundengespräche. Jeder UX-Experte weiß: die eigene Mutter ist in fast jedem Fall der schlechteste mögliche Gesprächspartner, um Informationen zu gewinnen, wie Nutzer mit Produkten umgehen – oder gar, wie gut eine Geschäftsidee ist.

Das liegt nicht an Vorwissen, Fähigkeiten oder der Ausbildung unserer Mütter. Sondern daran, dass eine Mutter ihr Kind liebt und so voreingenommen ist wie keine andere Person auf der Welt. Selbst wenn sie sich noch so viel Mühe gibt: Die eigene Mutter kann nicht objektiv sein.

Fitzpatrick hat mit dem Mom Test einen Trick entwickelt, wie wir trotz alledem mit unserer Mutter (wie auch mit jedem anderem Menschen) ein geschäftliches Gespräch führen können, das uns wertvolle Erkenntnisse (insights) liefert.

Das Vorgehen ist einfach:

  1. Sprich über das Leben/die Erfahrung der Nutzer, nicht über die Idee.
  2. Stell Fragen zum Verhalten in der Vergangenheit, nicht zu Plänen in der Zukunft.
  3. Rede wenig, höre mehr zu.

Und das war’s auch schon. Einfach? Ja! Zu einfach? Keinesfalls. Und auch gar nicht einfach umzusetzen. Der Autor erklärt natürlich, wie er zu den 3 Regeln kommt:

Der wichtigste Punkt ist, dass ich ein Recherche-Gespräch nie beginnen sollte, indem ich die Idee preisgebe. Die meisten Menschen, ob Mütter oder nicht, werden diese Idee erstmal loben. Das ist nutzlos. Ich muss herausbekommen, ob es im Leben der zukünftigen Nutzer Platz gibt für das Produkt, das gerade entwickelt werden soll. Dabei sollte ich so wenig über das Produkt wie möglich verraten. Am besten ist es sogar, wenn ich überhaupt nichts von dem geplanten Produkt erzähle.

Alles, was wir über unser Verhalten in der Zukunft erzählen, ist eine über-optimistische Lüge.

Dann frage ich am besten nicht, ob mein Gesprächspartner etwas in Zukunft nutzen würde – die Antwort auf solche Fragen bringen wenig. Eine solche Aussage kostet nichts, nicht einmal Mühe. Im Gegenteil, es ist sogar einfacher zu sagen, wir würden ein bestimmtes Produkt nutzen. Es vielleicht sogar kaufen. Und vielleicht machen wir selbst uns auch etwas vor. Werden wir dagegen gefragt, wie wir bisher ein Problem gelöst haben, dann werden wir fast immer die Wahrheit sagen. Wir werden berichten, welche Umstände wir in Kauf genommen haben. Erzählen von dem Ärger, den uns das gemacht hat. Welche Anwendungen wir ausprobiert haben, um das Problem zu lösen. All das sind super nützliche Informationen, die ich aus Gesprächen mit Nutzern ziehen kann.

Und schließlich: Je mehr wir unseren Gesprächspartner erzählen lassen, um so wertvoller werden die Ergebnisse sein.

Praxistipps & Fazit

Eine ganz wichtige Erkenntnis fand ich persönlich: Wir sollten nicht dabei stehen bleiben, die im Gespräch gefundenen Probleme aufzunehmen. Wir sollten tiefer bohren: Warum ist das ein Problem? Welche Konsequenzen hat das? Welche Schritte wurden unternommen, um das Problem zu lösen? Wurde Zeit oder Geld investiert in eine Lösung? Nicht selten wird dann klar: Es gibt zwar ein Problem, aber auch eine Notlösung, die ganz gut funktioniert. Oder mein Gesprächspartner sagt, es sei ein großes Problem – hat aber bisher noch nichts unternommen, um es zu lösen. Offensichtlich ist der Druck dann doch nicht so groß – und das Problem daher nicht relevant.

Und schon gar nicht sollten wir die Lösungen für bare Münze nehmen, die unsere Gesprächspartner uns vorschlagen. Sie sagen vielleicht „ein Produkt, das X macht, würde ich sofort kaufen“. Damit lässt sich nicht viel anfangen. In den meisten Fällen löst dieser Vorschlag das Problem nicht. Oder es ist nur eine Notlösung. Oder es ist eine Lösung, die nur für diesen einen speziellen Fall taugt. In dieser Research-Phase sollte ich mich auf die Nutzungsgewohnheiten und Probleme konzentrieren – Lösungen werden im nächsten Schritt entwickelt.

Unsere Gesprächspartner sind für das Problem zuständig, wir für die Lösung.

Der Autor gibt noch einige Tipps zur Gesprächsvorbereitung:

Überlege dir immer, welche 3 Erkenntnisse du unbedingt mitnehmen willst aus dem Gespräch.

Stelle mindestens eine Frage, vor der du Angst hast – die also den Erfolg des ganzen Projektes in Frage stellt. Selbst wenn ich nicht der Startup-Gründer bin, macht es mir Angst, herauszufinden, dass die ganze Produktidee nicht funktioniert – das ist zwar eine Erkenntnis, welche extrem viel Zeit und Geld sparen kann. Aber es ist eine, die extrem schwer zu vermitteln ist.

Schließlich beschreibt Fitzpatrick, wie man seine Erkenntnisse aus den Gesprächen am besten sammelt und weitergibt im Team. Eine Checkliste mit den wichtigsten Richtlinien rundet das Buch ab.

Mein Tipp: Am besten das Buch gleich selbst lesen und danach dem nächsten Gründer/Product Owner schenken!

Auf Deutsch gibt es das Buch nur als Taschenbuch bei Amazon oder als PDF unter: http://momtestbook.com/de. Auf Englisch gibt es das Buch auch als Kindle-E-Book.

Portraitfoto: Jens Jacobsen

Jens Jacobsen

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