Psychische Belastungen als UXler – Risiken und Chancen in der VUCA Welt

Eine Frau schläft auf der Seite in einem Bett.

Wer im Bereich User Experience arbeitet, hat als oberstes Ziel den zufriedenen Nutzer. Doch auch für den UXler selbst ist die eigene Zufriedenheit im Hinblick auf die psychische Gesundheit von großer Bedeutung.

Und zwar gerade dort, wo er oder sie die meiste Zeit verbringt: auf der Arbeit.

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Arbeiten in der VUCA-Welt setzt Arbeitnehmer unter Druck und kann auf Dauer krank machen

VUCA ist in aller Munde und macht es auch Dienstleistern nicht leicht. VUCA ist ein Akronym und setzt sich zusammen aus
V – Volatilität: der Intensität der Schwankungen im Zeitablauf, je höher die Schwankungen sind, desto schlechter lässt sich vorausplanen.
U – Uncertainty/Unsicherheit: in einer so schnelllebigen Zeit wird es schwierig, Ereignisse vorherzusagen. Dementsprechend wird die Planung unsicherer, als sie es bisher war.
C – Complexity: Vor allem durch die Digitalisierung wird die (Arbeits-)Welt komplexer. Vieles ist miteinander vernetzt und Auswirkungen sind damit nicht immer direkt vorhersehbar.
A – Abmbiguity/Mehrdeutigkeit: Die Planung wird ebenfalls erschwert, weil es keine Ursache-Wirkungsbeziehungen mehr gibt und alles komplex zusammenhängt. Oft ist unklar wo Ursachen liegen oder was für Auswirkungen Aktionen mit sich bringen. Ergebnisse und Fakten sind schwerer zu interpretieren, als sie es bisher waren.
Der Druck, mithalten zu können wächst, Flexibilität und Committment werden erwartet und das Unternehmen und auch der einzelne Arbeitnehmer stehen zunehmend unter Stress. Die Herausforderung zeigt sich hier im Finden eines Ausgleichs. Wer das nicht schafft, riskiert es krank zu werden – physisch oder psychisch.

Gerade in kleinen und mittelständischen Unternehmen, Agenturen oder als Freelancer spürt man die Hürden der VUCA Arbeitswelt und muss schneller darauf reagieren, um mit der Konkurrenz mithalten und sich durchsetzen zu können. Der Druck scheint hier etwas größer zu sein und gleichzeitig haben gerade hier Fehltage der Kollegen stärkere Auswirkungen, da sie nicht so leicht abgefangen werden können. Betrachtet man die Zahlen im kommenden Abschnitt, wird deutlich, dass es gerade hier wichtig ist, vorzusorgen, um Ausfälle zu prävenieren.

Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird im Folgenden die gewohnte männliche Sprachform bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen verwendet. Dies impliziert jedoch keine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts, sondern soll im Sinne der sprachlichen Vereinfachung als geschlechtsneutral zu verstehen sein.

Einer der häufigsten Gründe für Fehltage: zu hohe psychische Belastung

Zeitdruck, Über- oder Unterforderung, Lärm, unflexible Arbeitszeit- oder Arbeitsplatzgestaltung, fehlende Sinnhaftigkeit der Arbeit, Konflikte mit Kollegen und Vorgesetzte und zahlreiche weitere Faktoren können unser Wohlbefinden verringern und uns langfristig schaden. Die Zahlen der Krankheitstage und Fälle, die auf psychische Belastungen zurückzuführen sind, steigen in den letzten Jahren stetig.

Fehltage aufgrund psychischer Störungen und Verhaltensstörungen – aufgeteilt nach Geschlecht, Vergleich der Jahre 2013 und 2017

Bei den Frauen machten diese Ausfälle damit die längste und bei Männern die drittlängste Arbeitsunfähigkeitsdauer aus.

Arbeitsunfähigkeitsfälle psychische Störungen und Verhaltensstörungen im Vergleich zu sonstigen Erkrankungen im Jahr 2013 +Anteil zusätzlicher Fälle in 2017

Insgesamt stiegen nicht nur die Anzahl der Arbeitsunfähigkeits-Fälle wie Abb.1 zeigt, sondern auch die Dauer der Ausfälle, s.h. Abb.2. (Quelle: TK Gesundheitsreports 2014 und TK Gesundheitsreport 2019).
Bei Frauen sind sie innerhalb von 4 Jahren von 7,6% auf 8,5% und bei Männern von etwa 4,1% auf 4,8% auf je 100 Versicherungsjahre angestiegen.

Das Thema psychische Belastung gewann in den letzten Jahren immer weiter an Wichtigkeit und wurde nun auch seit Mai 2019 im ICD 10 aufgenommen und von der Weltgesundheits-Organisation als Krankheit anerkannt.
Auch wenn früher die Zahlen der Krankheitsfälle und AU (Arbeitsunfähigkeits)-Tage deutlich geringer waren als heute, war früher die Dunkelziffer mit Sicherheit höher. Dies lag zum einen daran, dass psychische Erkrankungen häufiger unerkannt blieben, zum anderen aber auch daran, dass die gesellschaftliche Akzeptanz geringer war und weniger darüber gesprochen wurde. Durch Endstigmatisierung und höhere Bekanntheit stiegen zusätzlich zu der zunehmenden Arbeitsbelastung die Zahlen stetig an.
Durch die offizielle Aufnahme ins ICD-11 kann man annehmen, dass in den kommenden Jahren die Zahlen weiter ansteigen. Umso mehr sollte deshalb versucht werden, Risikofaktoren zu identifizieren und bestmöglich frühzeitig gegenzusteuern.

Der „Spitzenreiter“: Burnout

Besonders Burnout und Depressionen verursachten die meisten psychisch bedingten Fehltage. Laut Maslach, einer amerikanischen Forscherin sind die Hauptkriterien für ein Burnout-Syndrom die emotionale Erschöpfung und damit dem Gefühl der Überforderung durch die Anforderungen im Beruf. Ein weiteres Kriterium ist die Entfremdung, was sich beispielsweise an Personen zeigt, die zunehmend als Objekt gesehen werden (z.B. „die Leberzirose in Zimmer 4“, anstatt „Frau Müller mit der Leberzirose in Zimmer 4“). Die sinkende Leistungsfähigkeit ist das wahrscheinlich deutlichste Zeichen, dass ein Arbeitnehmer an einem Burnout-Syndrom leidet.

Als stärkste Belastung wurde von einem Drittel der Befragten der ständige Termindruck genannt (in Klammern der Link zur Studie aus 2019). Ein Faktor, der im Arbeitsalltag inzwischen Gang und Gäbe ist. Mit nur wenig Abstand folgten emotionaler Stress, Überstunden und ein schlechtes Arbeitsklima.

UX – eine besonders gefährdete Branche?

Für den Bereich User Experience gibt es weder konkrete Zahlen zu psychischen Belastungen in diesem Arbeitsumfeld, noch wie viele Arbeitnehmer aufgrund zu hoher psychischer Belastung ausfallen. Nachdem die UX-Branche sehr vielseitig ist und UX-Consultants, -Designer, -Researcher etc. in unterschiedlichen Unternehmensgrößen oder als Freelancer arbeiten, wird es noch schwieriger, konkrete Zahlen zu nennen. Die Rahmenbedingungen können sich dafür trotz ähnlichen Aufgaben stark unterscheiden. Betrachtet man die Auflistung der meist gefährdetsten Berufsgruppen, gehört die Arbeit im UX-Bereich nicht zu solchen – was jedoch nicht bedeutet, dass hier keine psychischen Erkrankungen aufgrund zu hoher Belastung auftreten können.

Und wie kann man prävenieren?

Einige physische, als auch einige psychische Faktoren können bekanntermaßen die Belastung am Arbeitsplatz reduzieren, sind aber oft kostspielig oder unter realen Bedingungen nur schwer umzusetzen. So beispielsweise das Reduzieren von Lärm oder unvorhersehbare personelle Engpässe, wegen derer Überstunden anfallen, auch wenn die Mitarbeiter schon erschöpft sind.

Gefährdungsbeurteilung – für psychische und physische Belastung

Es gibt allerdings auch Dinge, die auch im Arbeitsalltag umsetzbar sind. Beispielsweise eine Gefährdungsbeurteilung, die inzwischen sogar gesetzlich Pflichtist (§5 ArbSchG). Diese schließt nicht mehr nur physische, sondern auch psychische Belastung mit ein – und das unabhängig von der Größe des Unternehmens. Man kann eine solche Gefährdungsbeurteilung, die mit beobachtenden Verfahren, Befragungen oder auch mit Hilfe von Analyseworkshops gemessen und beurteilt werden können, in drei Oberthemen gliedern (vgl. Neuner, 2016, S. 39, Psychische Gesundheit bei der Arbeit. SpringerGabler.).

Anforderung bei der Arbeit:
Passt der Workload? Sind die Aufgaben angemessen und die Mitarbeiter weder unter- noch überfordert? An welcher Stelle kann der Mitarbeiter entlastet oder mehr gefordert werden?
Regelmäßige Rücksprachen mit dem direkten Vorgesetzten können helfen, Aufgaben besser zu verteilen und ggf. Ungleichgewichte auszugleichen.

Entscheidungsfreiheit:
Können sich die Mitarbeiter ihre Arbeitszeit- und ihren Arbeitsplatz selbst so gestalten, dass sie diese den jeweiligen Bedürfnissen anpassen können? Wo werden die Mitarbeiter physisch, zeitlich oder anderweitig so eingeschränkt, dass sie dies als inakzeptable Einschränkung und tatsächliches Problem wahrnehmen? 

Soziales Klima:
Der Mangel an sozialer Unterstützung am Arbeitsplatz, aber auch klar messbare Faktoren wie Lärm, der laut einer PronovaBKK Studie aus 2018 ca. die Hälfte der Arbeitnehmer in Deutschland belastet, können wesentlich zum Wohlbefinden am Arbeitsplatz beitragen oder dies verringern. Auch im privaten Umfeld gibt es natürlich Stressfaktoren, dennoch findet sich eine psychisch hohe Belastung, oftmals vor allem am Arbeitsplatz an dem verschiedene Charaktere miteinander zurechtkommen und sich aufeinander einstellen müssen(vgl. Neuner, 2016, S. 39).

Den Voraussetzungen angepasste Arbeitszeiten

Wenig Mitspracherecht der Arbeitszeit- und Arbeitsplatzgestaltung kann dazu führen, dass sich Arbeitnehmer eingeengt und eingeschränkt fühlen und Probleme haben, persönlichen Interessen nachzugehen. Diese Möglichkeiten könnten jedoch helfen, Ausgleich zur Arbeit zu schaffen. Eine flexible Arbeitszeit- und Arbeitsplatzgestaltung kann so zu einer geringeren psychischen Belastung führen, doch sollte man den sozialen Aspekt und die Wichtigkeit des persönlichen Austauschs mit Kollegen nicht unterschätzen. Nicht immer bringt Homeoffice nur Vorteile und manchmal kann „sehr flexibel“ auch „zu flexibel“ werden. Für die Arbeit im Team ist es ratsam, Termine die auch via Skype möglich wären, persönlich abzuhalten und evtl. auf Homeoffice zu verzichten. Kernarbeitszeiten und nur ausgewählte Wochentage an denen Homeoffice genehmigt ist, können helfen, zumindest zeitweise dafür zu sorgen, dass Mitarbeiter zu gleichen Zeiten im Büro sind.

Arbeitsplatzgestaltung

Es mag banal scheinen, aber auch die Arbeitsumgebung sollte nicht unterschätzt werden. Denn mit wenig finanziellem und organisatorischem Aufwand lässt sich einiges bewirken: Helle Räume mit ausreichend Platz, sowie grüne Pflanzen lassen den Raum freundlicher wirken und Mitarbeiter wohler fühlen.

Work-Life-Balance vs. Work-Life-Blending

Vielen Arbeitnehmern fällt es vor allem in arbeitsintensiven Phasen, in denen unter Zeitdruck gearbeitet wird, schwer, abzuschalten und Privates und Berufliches zu trennen. Manche Arbeitnehmer streben sogar das gegenteilige „Work-Life-Blending“ an. Davon spricht man, wenn beispielsweise auch die Freizeit noch mit Kollegen verbracht, oder in der Freizeit noch Dinge für die Arbeit erledigt werden. Die jüngere Generation, die auch vermehrt auf der Suche nach sinnvoller und erfüllender Arbeit ist, lebt Work-Life-Blending immer mehr. Dies unterstützt den sozialen Aspekt, der durch die Digitalisierung häufiger vernachlässigt wird. In arbeitsintensiven Phasen leidet wohl das Privatleben vermehrt, denn vielen Arbeitnehmern fällt es leichter abzuschalten, wenn Kollegen und Freunde, sowie Arbeitsplatz und zu Hause klar getrennt sind. Hier kann es deshalb ratsam sein auf Homeoffice zu verzichten, um beide Lebensbereiche klarer voneinander trennen zu können. Der Weg aus dem Büro nach Hause kann dabei auch helfen, in den Feierabend zu finden und „runterzukommen“. Sich auf feste Homeoffice- und Büro-Tage zu einigen, kann in Abstimmung mit anderen Team-Kollegen helfen, Termine vermehrt persönlich abzuhalten.

Teamwork

Auch gut funktionierende Teams sollten gepflegt werden, dass dies so bleibt. Gemeinsame Mittagessen, auch außerhalb der eigenen Büroräume, sowie Teamevents stärken die Gemeinschaft und können eine angenehmere Atmosphäre schaffen. Wir bei eresult haben Mitarbeiter über mehrere Standorte verteilt. Bei standortübergreifenden Projektteams kann es aus Zeit- und Kostengründen schwierig sein, diese persönlich zusammen zu bringen. Skype bleibt dann oft das Mittel der Wahl. Um die soziale Komponente trotzdem nicht zu kurz kommen zu lassen, werden regelmäßige Standortübergreifende Teamevents veranstaltet, um dort den persönlichen Kontakt und Austausch zu sichern und auch standortübergreifend die Gemeinschaft zu stärken.


Portraitfoto: Kathrin Häring

Kathrin Häring

User Experience Consultant

eresult GmbH

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