Barrierefreiheit und UX (Teil 2) – Inwiefern sind Usability Heuristiken und Interaktionsprinzipien barrierefrei?

Eine blinder Mann verwendet einen Braille-Bildschirmleser

Für die Gestaltung und Entwicklung von Systemen wird unter anderem nach Usability Heuristiken und Interaktionsprinzipien vorgegangen. So soll gewährleistet sein, dass ein System so nutzerfreundlich wie möglich zu bedienen ist. Aber wie ist das, wenn die Nutzenden körperliche oder kognitive Einschränkungen haben? Werden diese Personen bei den Heuristiken und Prinzipien ebenfalls bedacht?

Kurzer Reminder: Barrierefreiheit und Gestaltgesetze

In meinem letzten Blogbeitrag ging es um das Thema Barrierefreiheit und die Bedeutung von Barrierefreiheit für UX mit Betrachtung ausgewählter Gestaltgesetze.

Barrierefreiheit bedeutet, dass z. B. unter anderem öffentliche Gebäude, Verkehrsmittel, Dienstleistungen sowie auch Internetseiten so gestaltet sein müssen, dass jeder sie ohne fremde Hilfe nutzen kann. Betroffene Personen haben z. B. Einschränkungen beim Sehen, Hören, Verstehen und Bedienen und benötigen entsprechende Unterstützung. Daher ist es gerade im Bereich UX so wichtig, diese Person mit in den Entwicklungsprozess zu integrieren.

Ich habe in meinem letzten Blogbeitrag geprüft, ob die Gestaltgesetzte jede Einschränkung berücksichtigen oder ob Anpassungen der Gestaltgesetze notwendig sind. In diesem Beitrag geht es nun weiter mit der Überprüfung einiger Usability Heuristiken nach Nielsen und Interaktionsprinzipien nach DIN EN ISO 9241-110.

Sind die Usability Heuristiken nach Nielsen barrierefrei?

Im Folgenden werden ausgewählte Usability Heuristiken nach Nielsen auf Barrierefreiheit überprüft.

Einfache und natürliche Dialoge:

Diese Heuristik berücksichtigt viele Einschränkungen. Die Verwendung von einfacher Sprache ist besonders hilfreich für Personen mit kognitiven Einschränkungen. Diese werden gut unterstützt, wenn z. B. einfache und kurze Sätze und wenig Fachworte verwendet werden. Aber auch Personen mit einer Hörschwäche können Inhalte viel besser aufnehmen, wenn diese einfach dargestellt werden. Durch einfache, natürliche Strukturen erhalten zudem Menschen mit Sehschwäche oder Blindheit ein besseres Verständnis von einer Anwendung.

Neben eine einfach aufgebauten Inhalt gilt auch bei der Gestaltung: Weniger ist mehr. Das ist besonders relevant für autistische Personen, da diese durch zu viele Farben, Objekte und Informationen getriggert werden können.

Rückmeldungen und Fehlermeldungen:

Ein gelber Notizzettel mit einer gezeichneten aufleuchtenden Glühbirne ist an eine Pinnwand geheftet
Quelle: AbsolutVision | Unsplash

Rückmeldungen sind wichtig für alle User. Es muss immer ersichtlich sein, wo sie sich im Prozess befinden und was passiert. Hierbei ist wichtig, dass auf verschiedenen Kanälen Rückmeldungen gegeben werden. Das gleiche gilt für Fehlermeldungen. Auch diese müssen für jeden Nutzenden verfügbar und verständlich sein.

Die unterschiedlichen Kanäle, die beachtet werden müssen, sind:

  • auditiv für Seheingeschränkte und -behinderte. Hier ertönt beispielsweise ein Signal, wenn eine Aktion erfolgreich war oder fehlgeschlagen ist. Bei einigen Smartphone Anwendungen gibt es ein auditives Feedback z. B. beim Schreiben und Abschicken einer Nachricht. Da komplett erblindete Personen ein System meistens mit einem Screenreader verwenden, ist hier ein zusätzliches Signal nicht immer notwendig. Es kann zum Teil auch eher störend sein, wenn es über die Audioausgabe des Screenreaders abgespielt wird.
  • visuell und haptisch für Gehörlose. Dazu gehört zum einen das visuelle Hervorheben von Hinweisen und Fehlermeldungen. Zum anderen ist auch ein haptisches Feedback in Form von Vibrationen möglich.
  • Kurze, einfache Sätze für Personen mit kognitiven Einschränkungen. Genau wie bei der Heuristik Einfache und natürliche Dialoge gilt auch bei Rückmeldungen und Fehlermeldungen, dass diese so einfach und verständlich wie möglich dargestellt werden sollen.

Gerade bei diesen beiden Heuristiken ist es schwer, eine einzige Lösung zu finden, die für alle Personen zugänglich und verständlich sind. Daher sollten Rückmeldungen und Fehlermeldungen immer auf allen Kanälen verfügbar sein, damit alle Personen unterstützt werden.

Klare Auswege:

Bei dieser Usability Heuristik besteht die Schwierigkeit, Auswege z. B. bei einer Anwendung für Sehbehinderte gut sichtbar zu machen. Hier sollte darauf geachtet werden, dass die Bedienung der Navigation auf der Seite einfach gestaltet ist und nicht zu verschachtelt. Auch für Personen, die ein System aufgrund motorischer Einschränkungen nicht mit der Maus, sondern nur über eine Tastatur bedienen können, sollten die Auswege schnell erreichen können. Hier bietet sich die Nutzung von gängigen Tastenkombinationen an, um z. B. Schritte rückgängig zu machen: Strg + Z.

Fazit

Die Heuristiken enthalten im Großen und Ganzen wichtige Hinweise für die Barrierefreiheit. An der einen oder anderen Stelle sollten kleine Ergänzungen gemacht werden, damit noch mehr User Zugang zu den Inhalten bekommen.

Sind Interaktionsprinzipien nach DIN EN ISO 9241-110 barrierefrei?

Aufgabenangemessenheit:

Ein System ist aufgabenangemessen, wenn es den User dabei unterstützt, eine Aufgabe einfach und schnell zu erfüllen. Dabei muss zunächst herausgefunden werden, wie Personen mit Einschränkungen am besten unterstützt werden können. Informationen und Inhalte müssen deutlich erkennbar und jederzeit zugänglich sein. Überflüssige Informationen sollten vermieden werden. Wichtige Inhalte und Funktionen sollten primär angezeigt werden. Zudem ist es wichtig, dass das System Hilfe anbietet.

Schild an einem Haus mit der Aufschrift "You´re not lost You´re here"
Quelle Auge: Eileen Pan | Unsplash

Selbstbeschreibungsfähigkeit:

Ein weiteres, wichtiges Interaktionsprinzip ist die Selbstbeschreibungsfähigkeit. Hierbei sollten Elemente eines Systems eindeutig bezeichnet werden, sodass jeder sie verstehen kann.

Die Herausforderung besteht hier besonders bei der Verwendung von Icons. Diese sollten allgemein bekannt sein und einen Alternativtext haben, damit auch Sehbehinderte und Personen mit kognitiven Einschränkungen diese erkennen und auch die Funktion dahinter verstehen. Wichtig ist auch, dass der User alle benötigten Informationen bekommt, diese aber nicht überfordern (weniger ist mehr).

Erwartungskonformität:

Erwartungskonform bedeutet, dass ein System so reagiert, wie es der User erwartet. Die Schwierigkeit ist hier, herauszufinden, was die Erwartungen der User mit Beeinträchtigungen sind? Erwartungen beruhen meist auf Erfahrungen. Dazu gehören z. B. Erwartungen hinter einem Button, Icons oder Tastenkombination, weil es zuvor so gelernt wurde. Diese Erwartungen sollten erfüllt werden. Dafür ist Konsistenz notwendig. Es ist wichtig, dass Konsistenz nicht nur visuell geschaffen wird. Zum Beispiel wird grün eher mit positiv und rot mit negativ in Verbindung gebracht. Personen mit einer Farbfehlsichtigkeit oder -blindheit können dies aber nicht wahrnehmen. Hier sind weitere Informationen nötig, um zu verstehen, welche Erwartungen und Erfahrungen diese Personen haben.

Einbeziehung von Betroffenen in den Entwicklungsprozess

Bei der Entwicklung von Systemen sollten auch Personen mit Einschränkungen mit eingebunden werden. Hier bietet es sich an, zunächst mithilfe von User Research entsprechende Personas zu entwickeln. Diese können sowohl bei der Gestaltung und Entwicklung als auch später im Prozess bei der Evaluation verwendet werden.  Die Einbeziehung von körperlich und kognitiv eingeschränkten Personen bei der Entwicklung ist, wie im ersten Blogbeitrag beschrieben, wichtig, um die Usability eines Systems zu erhöhen.

Zudem ist es ratsam, bei anschließenden Testungen der Systeme auch Personen mit Einschränkungen als Testpersonen einzusetzen. Nur so können aussagekräftige Rückmeldungen über die Barrierefreiheit eines Systems eingeholt werden.

Quellen:

Bildquellen:

  • Abbildung 1: Sigmund | unsplash
  • Abbildung 2: absolutvision | unsplash
  • Abbildung 3: Eileen Pan | unsplash

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