Hochautomatisiertes Fahren: Unterstützt das System den Menschen richtig?

Autobahn mit Autos bei Nacht.

„In der Zukunft fahren unsere Autos autonom.“ Das hören wir immer wieder, wenn es darum geht, wie sich die Technik der Autoindustrie in den nächsten Jahren entwickelt. Bis die Technik diese Fortbewegung fehlerfrei garantieren kann, vergehen noch viele Jahre. Allerdings kann laut einer Studie des Bundeswirtschaftsministeriums das hochautomatisierte Fahren bereits 2020 möglich sein.
Hochautomatisiertes Fahren heißt: Der Fahrer kann in einer bestimmten Fahrsituation die Kontrolle über einen temporären Zeitrahmen an das System abgeben. Während dieser Zeit muss der Fahrer den Verkehr also nicht beobachten und das Fahrzeug nicht von ihm gesteuert werden. Die Automatisierung ist in 6 Stufen zu unterteile (vgl. Abb. 1). Je nachdem wie viele Aufgaben das System dem Fahrer abnimmt, steigt der Grad der Automatisierung. Das autonome Fahren, wie wir es uns vorstellen, liegt dabei auf der letzten Stufe.
Durch die fortschreitende Entwicklung der Assistenzsysteme im Fahrzeug können dem Fahrer in einigen Situationen schon Fahraufgaben abgenommen werden (z. B. Stauassistent). Aus dieser Entwicklung der Assistenzsysteme entsteht das sog. hochautomatisierte Fahren (Stufe 3).

Für das automatisierte Fahren gibt es unterschiedliche Stufen

Abb. 1: Die Automatisierungsstufen (Quelle: www.vda.de)

Allerdings gilt es, nicht nur die technische Herausforderung des Systems zu lösen. Besonders wichtig wird hierbei die Interaktion und Kommunikation zwischen Fahrer und System. Der Fahrer nimmt im hochautomatisierten Fahren eine bislang ungewohnte neue Haltung ein: Er gibt die Kontrolle ab. Kontrollverlust führt zu Misstrauen. Wenn der Fahrer in das System kein Vertrauen hat, nutzt er es auch nicht. Um diesem Problem entgegenzutreten, muss das System während bestimmten Fahrsituationen dem Fahrer Informationen zur Verfügung stellen, die ihm ein Situationsbewusstsein geben.

Wie kann dem Fahrer Situationsbewusstsein gegeben werden?

Der Fahrer hat Situationsbewusstsein, wenn er weiß was in seiner Umgebung passiert.

Der Fahrer hat Situationsbewusstsein, wenn er weiß was in seiner Umgebung passiert. Auch, wenn er sie nicht aktiv selbst beobachtet. Dafür muss das System dem Fahrer alle relevanten Informationen darbieten. Das System reagiert und handelt entsprechend den (durch die Sensoren) wahrgenommenen Umweltinformationen (z. B erkennt es die Informationen auf einem Straßenschild und passt sich automatisch danach an). Damit der Fahrer diese Handlung nachvollziehen kann, muss das System transparent gestaltet sein. Hierbei ist auch wichtig, dass das Systemverständnis für den Fahrer sichergestellt ist. Er soll das System nicht neu „lernen“ müssen. Ebenso muss es bei allen Handlungen zwischen Mensch und System eine passende Rückmeldung geben. Werden diese Kriterien für die Konzeption der Schnittstellen eingehalten, wird der Fahrer Vertrauen zum System aufbauen.

Folgende Kriterien sind also für die Unterstützung des Situationsbewusstseins in einem hochautomatisierten System wichtig:

  • Das System muss überwacht werden können.
  • Ausreichende Rückmeldung muss gegeben werden.
  • Das System muss für den Fahrer transparent sein.
  • Das Systemverständnis muss gegeben werden.

Mehrere Automobilfirmen veröffentlichten vor ein paar Jahren erste funktionierende Prototypen. An diesen Prototypen kann gesehen werden, wie der Fahrer mit dem System interagiert und wo Optimierungsbedarf an den Schnittstellen besteht. Auf den Hintergrund der genannten Kriterien werden nun folgende Konzepte analysiert.

BMW Connected Pilot

BMW veröffentlichte im Jahr 2015 den Prototypen „Connected Pilot“. Im Video wird das Konzept in einem Fahrsimulator getestet. Dabei steht die Übernahme vom hochautomatisierten System in den normalen Fahrmodus bei einer Gefahrensituation im Vordergrund.

https://www.youtube.com/watch?v=Ev8zcG-tnK8&t=86s

Sobald der hochautomatisierte Modus bereit steht, wird der Fahrer über ein Icon im Kombi-Display darauf hingewiesen. Durch einen Knopf am Lenkrad kann er den Modus aktivieren. Während des hochautomatisierten Fahrens muss er eine kleine Aufgabe auf einem Tablet lösen. So wird sichergestellt, dass der Fahrer abgelenkt ist. Nach einiger Zeit wird eine Unfallsituation simuliert. Eine Aufforderung im Kombi-Display und ein Warnton weisen den Fahrer darauf hin das System wieder zu übernehmen.

Die bisherigen Anzeigeelemente und Rückmeldungen erscheinen noch sehr provisorisch. Der Knopf für die Aktivierung des Modus ist noch nicht klar am Lenkrad gekennzeichnet. Somit ist das Systemverständnis nicht sichergestellt. Das Icon, welches zur Bestätigung des hochautomatisierten Modus dient, dominiert bislang die Anzeige im Kombi-Display und ist deshalb für den Fahrer klar zu identifizieren und für die Funktion des „Autopiloten“ zuzuordnen. Dies wäre aber nicht mehr der Fall, wenn sich das Icon dem Interfacedesign des Systems unterordnet.

Das Icon zeigt im Kombi-Display den Fahrmodus an.

Abb. 2: Die Anzeige im Kombi-Display im BMW Connected Drive

Fazit

Dem Fahrer werden im Fahrzeug keine weiteren Informationen angezeigt.

Bei diesem Konzept fällt besonders auf, dass dem Fahrer im Fahrzeug keine weiteren Informationen angezeigt werden, weder der Systemzustand noch Umgebungsinformationen. Sollte der Fahrer während des hochautomatisierten Modus überprüfen wollen, ob sich das Fahrzeug an die Verkehrsbedingungen hält, ist er gezwungen den Straßenverkehr zu beobachten und selbst zu bestimmen, ob das Fahrzeug richtig handelt. Der Fahrer versteht zwar die Aufforderung zur Fahrzeugübernahme, erhält aber keine Information warum er dies tun soll. Erst als er das Fahrzeug übernommen hat und an der Unfallstelle angekommen ist, sieht er den Grund. Hier fehlt es also noch an Transparenz des Systems. Fehlende Informationen führen dazu, dass der Fahrer die Fahrsituation nicht richtig einschätzen kann.

Tesla Autopilot

Tesla ist anderen Automobilfirmen schon einen Schritt voraus. Die nötige Technik um hochautomatisiertes Fahren zu gewährleisten, wird seit geraumer Zeit in den Fahrzeugen verbaut. Im neuem Tesla S steht den Kunden ein sog. „Autopilot“ zur Verfügung. Hierbei handelt es sich noch nicht um ein ausgereiftes hochautomatisiertes System. Bei der Autopilot-Funktion ist vorausgesetzt, dass der Fahrer das System stets im Blick hat (bei einem hochautomatisierten System wäre dies keine Voraussetzung). Nach deutschen Verkehrsregeln darf der Fahrer seine Hände nämlich noch nicht dauerhaft vom Lenkrad entfernen. Dennoch bietet es interessante Ansätze, die später in einem hochautomatisierten System eingesetzt werden können. Im folgendem Video ist eine Testfahrt mit dem Autopiloten auf der A8 Richtung Stuttgart zu sehen.

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Der Autopilot kann auch hier über eine Taste am Lenkrad aktiviert werden. Sobald der Modus verfügbar ist, wird dies durch ein graues Icon im Kombi-Display sichtbar. Nach dem Aktivieren ändert sich dessen Farbe. Gleichzeitig erhält der Fahrer ein akustisches Feedback. Dies gibt ihm genug Rückmeldung. So kann er sicher sein, dass sein Fahrzeug ab jetzt von selbst handelt. Auf dem Kombi-Display sieht er eine grafische Darstellung seines Fahrzeugs und den Fahrzeugen in der Umgebung. Das System erkennt dabei, ob es sich um ein Auto, LKW oder Motorrad handelt.

Im Tesla S ist im Display das Icon gut sichtbar.

Abb. 3: Das Cockpit des Tesla S mit eingeschaltetem Autopilot

Auf dem Kombi-Display wird auch die Fahrspur, auf der sich das Auto gerade befindet, angezeigt. Diese Darstellung ist besonders auf der Autobahn hilfreich, wenn der Fahrer den Verkehr nicht selbst im Blick hat. Der Autopilot kann sich durch die Kameras und Sensoren an der Fahrspur oder einem vorausfahrenden Fahrzeug orientieren. An was er sich gerade orientiert, wird auf der Grafik in einer blauen Farbe dargestellt. Die Grafik ist für den Fahrer wichtig, um sein Fahrzeug einschätzen zu können. Sie macht ihm das „Denken und Sehen“ des Fahrzeugs transparent. Ebenso kann er auf dem Kombi-Display schnell Umgebungsinformationen wie z. B. Geschwindigkeitsbegrenzungen ablesen. Da es sich noch nicht um ein vollständiges hochautomatisiertes System handelt, muss der Fahrer noch sehr oft eingreifen. Sollte er seine Hände für längere Zeit nicht mehr am Lenkrad haben, fordert ihn das System in 4 Stufen dazu auf: Zuerst erscheint ein Pop-Up auf dem Kombi-Display. Diese Meldung wird in den weiteren Stufen durch einen drängenden Ton unterstützt. Auf der letzten Stufe bleibt der Ton dauerhaft an. Sollte der Fahrer bis dahin das Lenkrad nicht bewegt haben, bremst der Autopilot langsam ab. Ein Pop-Up-Meldung auf dem Kombi-Display kann schnell übersehen werden, aber das akustische Signal stellt hier sicher, dass der Fahrer darauf aufmerksam gemacht wird. In Amerika kam es im Juni 2017 zu einem tödlichen Unfall. Der Fahrer missachtete die Übernahmeaufforderung des Autopiloten und raste in einen LKW. Die Schuld wurde dem Fahrer zugewiesen, da Tesla argumentierte, dass der Autopilot ausreichend auf die Übernahme hingewiesen habe. (mehr dazu hier: http://www.autobild.de/artikel/autonomes-fahren-teilschuld-fuer-tesla-autopilot-10516973.html)

Fazit

Umgebungsinformationen bieten dem Fahrer Möglichkeiten, das Situationsbewusstsein aufrecht zu halten.

Der Autopilot von Tesla bietet dem Fahrer vor allem durch die vielen Umgebungsinformationen Möglichkeiten, das Situationsbewusstsein aufrecht zu erhalten. Da das System aber voraussetzt, den Verkehr weiter zu beobachten und jederzeit selbst eingreifen zu können, können keine weiteren Schlüsse daraus gezogen werden, ob das System bei Abgabe und Übernahme den Fahrer richtig unterstützen würde. Die Anzeigen im Kombi-Display sind hier gut platziert, da der Fahrer in diese Richtung sehen „muss“. Sollte es sich aber um ein hochautomatisiertes System handeln, wäre der Fahrer nicht mehr gezwungen nur gerade aus zu sehen und hätte das Kombi-Display somit nicht mehr im Blick. Warnmeldungen über ein Pop-Up würden dabei z. B. nicht mehr funktionieren.

Audi Jack

Auch Audi stellte im Jahr 2015 einen Prototyp vor. Bei „Jack“ handelt es sich um einen A7 der mit der nötigen Technik zum hochautomatisierten Fahren ausgestattet ist. In diesem Video geht es um eine Testfahrt auf der A9. Auf dem Beifahrersitz saß eine verantwortliche Person, die jederzeit eingreifen konnte, falls das System nicht ordnungsgemäß reagieren sollte.

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Sobald das System in den hochautomatisierten Modus schalten kann, wird dem Fahrer dies über das Kombi-Display mitgeteilt. Hier wird ihm auch gezeigt, was er tun muss, um den Modus zu aktivieren. Anders als bei den vorherig vorgestellten Prototypen müssen hier am Lenkrad zwei Knöpfe gleichzeitig gedrückt werden. Dies soll verhindern, dass der Fahrer den Modus ausversehen aktivieren würde. Nach dem Aktivieren erhält er ein akustisches Feedback. Dazu fährt das Lenkrad leicht zurück. Durch das eingefahrene Lenkrad hat der Fahrer mehr Platz und es dient auch als Information darüber, dass sich das Fahrzeug gerade im hochautomatisierten Modus befindet.

Jack gibt dem Fahrer in diesem Konzept nicht nur über das Kombi-Display Hinweise. Audi hat hier extra für den hochautomatisierten Modus ein eigenes Display eingerichtet. Dieses Display dient als Informationsanzeige und visuelle Rückmeldungsquelle für den hochautomatisierten Modus. Möchte das Fahrzeug zum Beispiel überholen, wird dem Fahrer auf diesem Display mitgeteilt, in welche Richtung es überholen möchte. Ebenso kann er dort ablesen auf welcher Spur er sich gerade befindet. Das bietet dem Fahrer die Möglichkeit, das System gut zu überwachen. Was darauf allerdings fehlt, sind Informationen zur Umgebung, z. B. aktuelle Straßenschilder. Die Dauer des hochautomatisierten Fahrens ist bei diesem Konzept zeitlich begrenzt. Auf dem Display sieht der Fahrer eine Zeitangabe, an der er ablesen kann, wie viel Zeit ihm noch für diesen Modus bleibt. Sobald die Anzeige auf 15 Sekunden steht, beginnt das Fahrzeug dem Fahrer über eine System-Stimme und einer Anzeige auf dem Kombi-Display mitzuteilen, dass er wieder selbst übernehmen soll. Sobald die Zeitanzeige bei 10 Sekunden angekommen ist, ertönt in jeder weiteren Sekunde ein Warnton und das Lenkrad fährt sich langsam wieder aus. Dazu befindet sich eine Lichtleiste an der Windschutzscheibe, die ein oranges Lauflicht zeigt. Die Computerstimme, die beiden Displays, der Ton und das Licht sind hier sehr viele Elemente, die für eine Aussage stehen und könnten den Fahrer in dieser Situation überfordern.

Fazit

Interaktion zwischen Mensch und System besteht.

Audi ist in seinem Prototyp „Jack“ schon mehr als in den anderen beiden Konzepten auf die Interaktion zwischen Mensch und System eingegangen. Das Display bietet Raum für relevante Informationen. Allerdings sollte man sich hier für das Display oder das Kombi-Display entscheiden. Der Fahrer kann sonst nicht mehr differenzieren, wo er hinsehen muss. Es fehlen auch Informationen, die das Handeln des Fahrzeugs transparenter für den Fahrer machen. Die zeitliche Begrenzung ist vermutlich noch dem Prototyp verschuldet. Dennoch ist die Zeit für die Übernahme zu dramatisch dargestellt. Ein bis zwei Feedbacks sollten hier reichen, um dem Fahrer die Übernahme mitzuteilen.

Ausblick

Diese Analyse hat gezeigt, dass die Konzepte für das hochautomatisierte Fahren noch optimiert werden müssen. Die Mensch-System-Schnittstellen sind noch nicht vollständig ausgearbeitet. Aus den Vor- und Nachteilen dieser Analyse und einer weiterführenden Umfrage wird nun ein neuer Konzeptansatz entwickelt.

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