Als UXler im Wunderland: Mein Selbstversuch mit TikTok

zwei Jungs ins Smartphone vertieft

Vor ein paar Tagen habe ich aus Neugier die Social-Media App Tik Tok zum ersten mal getestet – eine spannende Erfahrung; für mich persönlich aber auch aus UX-Sicht.

Zunächst einmal vorab: Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich mit Ende 20 nicht mehr für jeden aufkommenden Trend zu haben bin, sich schon die ersten Tendenzen von Alters-Engstirnigkeit zeigen oder ich humoristische Genüsse doch eher in guter Satire finde, aber das Phänomen Tik Tok, so viel sei schon verraten, hat mich nicht überzeugt.

Warum und wieso (und wen die App begeistert) erfahren Sie hier.

Was ist Tik Tok überhaupt?

Vermutlich geht es dem ein oder anderen so wie mir. Tik Tok, eine wirklich beliebte App unter Jugendlichen, glich für mich bis vor wenigen Tagen dem Erkunden einer terra incognita. Forscherin durch und durch, habe ich erst einmal das Internet befragt: Ein paar Google Recherchen später wurde das Bild klarer. Bei dem 2016 in China gegründeten Dienst geht es vordergründig um das Erstellen von 5 bis 15-sekündigen Videos. Diese können dann mit Songs von bekannten Künstler*innen oder Musik aus Filmszenen hinterlegt werden. Äußerst gefragt ist beispielsweise das Tanzen oder das Bewegen der Lippen zu ebenjenen Songs oder Szenen. Die Videos können außerdem geteilt und kommentiert werden. Gleichzeitig funktioniert die App ähnlich wie Instagram als soziales Netzwerk, indem Nachrichten zwischen Nutzer*innen ausgetauscht werden können. Ein einführendes Tutorial auf Youtube findet sich hier.

Genug recherchiert – nun wird App wirklich installiert!

Wie ist Tik Tok aufgebaut?

Abb. 1: Der Home-Bereich

Nachdem ich mich registriert habe, öffne ich die App also das erste Mal. Im Home-Bereich werde ich förmlich mit Inhalten überschwemmt. Die App schlägt mir Videos vor, die mir gefallen könnten.  So sehe ich miauende Katzen, das Zünden von Greta-Thunberg-Feuerwerksraketen, Kleinkinder, die mit Pferden spazieren gehen, Beauty-Queens, die sich ihre Augenbrauen abrasieren oder Baby-Igel, die im Waschbecken in Mini-Schwimmreifen zu Karibik-Musik planschen. Erst einmal orientieren ist angesagt: Was kann ich denn hier machen?

Mit Hilfe der selbsterklärenden Symbole am rechten Rand können die Videos gelikt, kommentiert und geteilt werden. Die Sound-Info des jeweiligen Videos läuft am unteren Rand als Textinformation und sich drehende Schallplatte durch das Bild. Bei Bedarf kann ich sie mit einem Touch recht unkompliziert in meinem eigenen Video verwenden. Darin liegt wohl auch ein Teil des Spaßes bei Tik Tok, denn mit dem Touch auf den verwendeten Song sehe ich gleichzeitig, in welchen weiteren Nutzer-Videos dieser verwendet wurde.

Mein Fazit zum Homebereich: Aus UX-Sicht ist der Home-Bereich recht einfach aufgebaut. Als geübte Instagram-Nutzerin sind mir die zahlreichen Schaltflächen vertraut. Diese liegen wie auch die dazugehörigen Hashtags und Profilverlinkungen als transparente Flächen bzw. Schriftzüge auf dem angezeigten Videobild. Dadurch kann das Video in seiner Größe über den gesamten Screen dargestellt werden. Ich muss also durch formateingrenzende Schaltflächenleisten nicht extra  auf mein Video klicken, um es mir in voller Größe anschauen zu können. Das klingt smart, ist es auch. Der Sinn und Zweck des Home-Bereiches, mich sofort nach Öffnen der App durch Inhalte zu inspirieren, wird damit erfüllt. Bei Bedarf kann ich mir hier auch nur Videos von Profilen anzeigen lassen, denen ich folge. Dieser Gedanke gefällt mir, denn auf die App und ihre Vorschläge verlassen, möchte ich mich nicht immer. Ein bisschen Selbstbestimmtheit und damit Orientierung hätte ich in diesem Bereich sonst vermisst.

Ich taste mich weiter voran, bevor ich mich in den mehr oder weniger witzigen Kurzvideos verliere und wechsele in den durch eine Lupe symbolisierten Suchbereich Entdecken. Angezeigt werden mir angesagte Hashtags wie #dasbinich, #dummgelaufen, #6sekundentest oder #oknice unter denen sich weitere Videos verbergen. Möglich ist es hier auch Tik Tok Barcodes zu scannen, was mich dann direkt zu einem Video oder Profil leitet.

Abb. 2: Der Barcode-Scanner
Abb. 3: Der Entdecken-Bereich
Abb. 4: Der Entdecken-Bereich



Mein Fazit zum Entdecken-Bereich: Im Gegensatz zum vorher beschriebenen Home-Bereich, kann ich hier die Videos selbstständig auswählen. Das gefällt mir entsprechend nochmal besser. Die Idee Inhalte mittels Hashtags gebündelt und strukturiert präsentiert zu bekommen, ist dabei äußerst sinnvoll. Mit dieser Art der Orientierungshilfe und Ordnung komme ich gut klar und fühle mich wieder mehr als Herrin der Dinge.

Im Bereich Posteingang, kurz gesagt, sehe ich zusätzlich eine Zusammenfassung all meiner Aktivitäten in der App. Daneben finde ich hier Mitteilungen, die mir gesendet wurden sowie welche Personen mir folgen. Das kennt man aus anderen Apps oder Anwendungen und entspricht den gängigen Erwartungen.

Abb. 5: Der Posteingang
Abb. 5: Der Posteingang
Abb. 6: Der Posteingang



Jetzt juckt es mich in den Fingern. Mit dem Plus unten in der Mitte der Navigationsleiste gelange ich den Bereich, in dem ich mein erstes eigenes Video kreieren kann. Verlockende Features leuchten mir entgegen. Da haben wir den Weichzeichner, der den ein oder anderen feucht-fröhlichen Abend der letzten Zeit in meinem Gesicht wegglättet. Sämtliche Portrait-Filter tauchen mich in Schwarz-Weiß oder sattes Pink. Damit aber nicht genug. Auch mein Essen kann farblich in Szene gesetzt werden. Ein praktischer Countdown lässt bei Bedarf mein Video zur rechten Zeit starten und enden. Weitere nutzbare Effekte sind kategorisiert nach Fashion, Haustier, Just for Fun oder einfach im Trend. Ein paar Klicks später sehe ich mich also mit goldenen Katzenohren, herzförmiger Stupsnase, perfektem Augenmakeup, Schnurrhaaren und ganz viel Glitzer oder blicke mir als abstraktes Kunstwerk entgegen. Besonders aber beeindrucken die AR-Effekte: zum Beispiel der Alien, der auf einem Roller durchs Bild fährt. Mein Video habe ich nach der Aufnahme  zusätzlich mit weiteren Effekten versehen. Auch solche Bearbeitungsschritte löst die App nutzerfreundlich. Der Satz „Halte, um Effekt anzuwenden“ erklärt mir was ich zu tun habe.

Während ich das Video also abspiele, halte ich mit dem Daumen das Icon für den jeweiligen Effekt gedrückt und siehe da, regnet es für ein paar Sekunden in meinem Video.

Mein Fazit zum eigenen Video-Bereich: Aus UX-Sicht bin ich durchaus begeistert. Die App-Designer haben hier die Logik der zurückgenommenen, aber stets über dem Videobild liegenden Schaltflächen weitergeführt. Die Icons für Filter, Timer und Co. sind mit dünnen weißen Linien nur angedeutet. Schon vor der Aufnahme des Kamerabildes kann ich die Schaltflächen direkt anwenden, ohne lang nach entsprechenden Tools suchen zu müssen. Durch die weiterhin voll ausgenutzte Screengröße  wird mein Kamerabild nicht behindert. Ein umständliches Gesuche und Gefummel, um Videos zu bearbeiten, bleibt mir erspart. Möchte ich einen Filter wieder entfernen, reicht der Touch auf das Verbots-Icon. Um komplett aus der Auswahl der Filter herauszukommen, tippe ich auf das Videobild. Ziemlich einfach, simpel und intuitiv erlernbar.

Abb. 7: Ich als Glitzerkatze
Abb. 6: Ich als abstraktes Kunstwerk
Abb. 7: AR Alien

Meine Videos kann ich übrigens auch auf anderen Plattformen wie Instagram verwenden, nur lässt sich das kleine Tik Tok Wasserzeichen dabei nicht wegschneiden. Etwas schade, wie ich finde.

Mein Fazit zu Tik Tok.

Wie eingangs schon angedeutet, ist Tik Tok keine App, die ich persönlich nutzen würde. Das liegt vor allem einfach an meinem persönlichen Geschmack. Das bloße Entertainment reicht für mich nicht aus, um mich längerfristig an die App zu binden.

Die Usability und User Experience jedoch ist, wie Sie sicher herausgehört haben, durchaus erwähnenswert. Insgesamt erinnert die App in ihrem Aufbau und ihrer Steuerbarkeit stark an Instagram. Damit erfüllt sie ziemlich clever die Erwartungen des Nutzers.  Zwar ist das Swipen und Wischen nach oben, um im Home-Bereich das nächste Video zu sehen, nicht ganz intuitiv, der grundlegende Aufbau der App ist dennoch gut und gleicht in seiner Symbolik dem anderer Apps. Die Steuerung der App geschieht nicht über ein aufklappbares Menü. Ähnlich wie bei Instagram sind alle Aktionen und ihre Symbole auf einen Blick sichtbar. Auch die Bereiche in der Navigationsleiste am unteren Rand sind immer anwählbar. Durch schwarze Einfärbungen erkennt der Nutzer in welchem Bereich er sich aktuell befindet

 Ältere Nutzer*innen ohne Erfahrung werden sich allerdings mit der Handhabung der App schwertun – diese sind, so kann man argumentieren, aber auch nicht Hauptzielgruppe der App.

Faszinierend ist daneben die Präzision und Vielfalt der Filter und die Umsetzung der Videobearbeitung. Mit ein wenig Fingerübung ist im Handumdrehen ein recht beeindruckendes Kurzvideo gestaltet, dass durch Effekte, Musik und Videobearbeitungstools ein vorzeigbares Ergebnis liefert.  

Nichtsdestotrotz bleibt Tik Tok für mich nichts weiter als eine nette Spielerei, wenn Netflix nichts Neues mehr zu bieten hat, alle Bücher ausgelesen sind oder selbst Instagram die Langeweile nicht mehr vertreiben kann. Dennoch eine Spielerei, bei der man sich versuchen kann, in die jüngeren Zielgruppen einzufühlen, oder sich Inspiration für Gamification & Interaktionsdesign holen kann.

Portraitfoto: Constanze Hahn

Constanze Hahn

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