UX vs. CX: Zwei Paar Schuhe oder doch dasselbe?

Ein Paar Beine, mit einem blauen und einem gelben Schu, steht auf einer Wiese.

Es gibt zwei Parteien. Die eine verwendet User Experience (UX) und Customer Experience (CX) synonym, die andere grenzt UX von CX ab. Woran liegt das? Worin liegt der Unterschied – gibt es überhaupt einen? Das Beispiel eines Schuhkaufs zeigt uns, wieso der Übergang zwischen UX und CX fließend ist und deshalb, bei umfassender Interpretation von UX, der Begriff Customer Experience keinen Mehrwert liefert.

Was ist Customer Experience?

Die Customer Experience wird als ganzheitliche, marktorientierte und erlebnisorientierte Betrachtung der Interaktion zwischen Kund*in und Unternehmen verstanden. Ziel ist die aktive, inszenierte Steuerung positiver Erlebnisse, um langfristig eine möglichst hohe Kundenbindung und Kundenloyalität zu erreichen (Bruhn & Hadwich, 2012; Robier, 2016). CX bildet hierbei die gesamtheitliche Kundenerfahrung unter Berücksichtigung aller relevanten Touchpoints entlang der Customer Journey ab.

Was ist der Unterschied zwischen Customer Experience und User Experience?

Laut Definition (DIN EN ISO 9241-210:2010) umfasst User Experience die „Wahrnehmung und Reaktion einer Person, die aus der tatsächlichen und/oder erwarteten Benutzung eines Produkts, eines Systems oder einer Dienstleistung resultieren“. Diverse Quellen im Internet bauen ihre Argumentation zur Definition von User Experience auf diesen Teil der Definition auf, was zu folgender Schlussfolgerung führt: Während Customer Experience Management alle Eindrücke und Erlebnisse während der lebenslangen Beziehung zwischen Kund*in und Unternehmen betrachtet, fokussiert sich User Experience nur auf die Interaktion von Nutzer*innen mit einem einzelnen Produkt. CX umschließt UX.

UX vs. CX: Eine Frage des Erlebnisumfangs?

Salazar, K. (2019) beschreibt in einem Blog-Artikel der Nielsen Norman Group drei Mensch-Technik Bindungsstufen. Stellen Sie sich Max beim Schuhkauf vor.

  • Single-Interaction Level: Spiegelt die Erfahrung wider, die Max mit einem einzelnen Gerät hat, um eine bestimmte Aufgabe zu bewältigen.
    Beispiel: Max möchte herausfinden, ob sein favorisiertes Schuhgeschäft Schuh5000 rote Sportschuhe in der Größe 43 anbietet. Hierfür besucht er den Online-Shop, filtert nach roten Sportschuhen in Größe 43 und findet ein geeignetes Schuhpaar.
Eine Person bedient einen Laptop auf einem Tisch. Eine Website wird angezeigt.
Quelle: Campaign Creators | Unsplash
Beim Single-Interaction Level wird eine bestimmte Aufgabe mit einem Gerät (hier Laptop) bewältigt.
  • Journey Level: Beschreibt die Erfahrung, bei der Max zur Erreichung eines bestimmten Ziels mehrere Interaktionskanäle oder -geräte nutzt.
    Beispiel: Max möchte die Sportschuhe vor dem Kauf anprobieren, ist sich aber nicht sicher, ob die Schuhe in dem Schuh5000 Geschäft in der Nähe auf Lager sind. Er sucht im Online-Shop nach einer Telefonnummer des Schuhgeschäfts. Er ruft dort an und erfährt, dass noch zwei Paar auf Lager sind. Er nutzt sein Smartphone, um den Weg zum Schuhgeschäft zu finden. Im Schuhgeschäft angekommen, probiert er die Schuhe an und sie passen. Trotzdem lässt er sich die finale Kaufentscheidung nochmal durch den Kopf gehen. Am späten Abend ruft er den Online-Shop mit dem Tablet auf und kauft das Paar Schuhe.
Ein Smartphone wird vor einem Geschäft in der rechten Handgehalten und zeigt Informationen über das Geschäft an.
Quelle: cardmapr | Unsplash
Das Journey Level beinhaltet mehrere Interaktionskanäle- oder geräte (hier Laptop und Smartphone).
  • Relationship Level: Bezieht sich auf die Gesamtheit aller von Max erlebten Customer Journeys mit dem Unternehmen Schuh5000. Betrachtet wird die Zeit, seitdem Max die erste Interaktion mit Schuh5000 hatte.
    Beispiel: Max hat schon drei Paar Schuhe von Schuh5000. Beim ersten Kauf vor 5 Jahren hat er sich zum Newsletter angemeldet, um einen 10% Rabatt-Gutschein zu bekommen. Seitdem erhält er 4x im Jahr eine Mail mit neu ins Sortiment aufgenommenen Schuhen. Er hat sein drittes Schuhpaar nach einem halben Jahr zurückschicken müssen, weil sich die Sohle gelöst hat. Hierfür wendete er sich, nach vorangegangener Telefonnummer-Recherche, an den Kundenservice.
Schuhe im Schaufenster
Quelle: InsightPhotography | Pixabay
Das Relationship Level fokussiert die Bindung (alle erlebten Customer Journeys) mit einer Marke.

Die Customer Experience umfasst alle drei Level (Interaction Level, Journey Level und Relationship Level), weshalb von einer 360°-Sicht auf die Customer Journey gesprochen wird. Doch was davon bildet dann UX ab?

User Experience ganzheitlich betrachtet

Laut Definition (DIN EN ISO 9241-210:2010) umfasst User Experience die „Wahrnehmung und Reaktion einer Person, die aus der tatsächlichen und/oder erwarteten Benutzung eines Produkts, eines Systems oder einer Dienstleistung resultieren“ und wird weiter spezifiziert: „[…] umfasst sämtliche Emotionen, Vorstellungen, Vorlieben, Wahrnehmungen, physiologischen und psychologischen Reaktionen, Verhaltensweisen und Leistungen, die sich vor, während und nach der Nutzung ergeben.“ sowie „User Experience ist eine Folge des Markenbilds, der Darstellung, Funktionalität, Systemleistung, des interaktiven Verhaltens und der Unterstützungsmöglichkeiten des interaktiven Systems, des psychischen und physischen Zustands des Nutzenden aufgrund seiner Erfahrungen, Einstellungen, Fähigkeiten und seiner Persönlichkeit sowie des Nutzungskontextes.“.

Betrachten wir wieder Max beim Kauf eines Schuhpaares. Das gesamte Erlebnis – Lesen des Newsletters, Recherche im Online-Shop, das Telefonieren mit dem Kundenservice, die Anprobe in einer Filiale, der Bestellprozess, das Auspacken und Retournieren des Produkts – gehört zur ganzheitlichen User Experience dazu. Auch die Erwartungshaltung an das Unternehmen, die dem Relationship Level zugehörig ist, deckt die User Experience per Definition vollständig ab (vor, während und nach der Nutzung).

Historie von UX und CX

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass der Begriff User Experience Mitte 1990 von Don Norman eingeführt wurde und seit 2010 in der DIN EN ISO 9241-210 wissenschaftlich verankert ist. Customer Experience hat seinen Ursprung 2007 in der Betriebswirtschaftslehre und wird dort in der Handels- und Verkaufspsychologie verortet. Bislang wurde CX jedoch in keiner Norm definiert, was den Umgang mit dem Begriff erschwert.

Zeitstrahl über die Entstehung der Begrifflichkeiten UX und CX.
Quelle: eresult
Zeitstrahl über die Entstehung der Begrifflichkeiten UX und CX.

UX und CX: In der Sache vereint

User Experience und Customer Experience sind schwer voneinander zu trennen, da User Experience per Definition bereits alle Touchpoints einer Customer Journey und jede der drei Mensch-Technik Bindungsstufen berücksichtigt. Deshalb sehen wir bei der Verwendung des Begriffs Customer Experience mehr Gefahren, als Vorteile:

  • Die Fokussierung auf einzelne, nicht aufeinander abgestimmte Touchpoints bzw. Mensch-Technik Bindungsstufen, wirkt entgegen des Ziels von UX und CX: Nutzende in den Vordergrund zu stellen und das Kundenerlebnis in der Gesamtheit zu verbessern.  
  • Außerdem trägt CX zur Inflation des User-Centered-Design Wortschatzes bei, erschwert das Verständnis und damit die Etablierung des Fachbereichs.

Egal, ob UX oder CX: im Mittelpunkt sollte immer das gesamtheitliche Erlebnis der Nutzer*innen stehen. Wichtig ist, dass Nutzerfeedback kontinuierlich eingeholt und an die richtigen Stellen im Unternehmen getragen wird – User und Customer werden sich bedanken 🙂


Beitragsbild: RyanMcGuire bei Pixabay


Quellen

Bruhn, M., Hadwich, K. (2012): Customer Experience. Forum Dienstleistungsmanagement. Wiesbaden: Gabler Verlag.

DIN EN ISO 9241-210:2010: Ergonomie der Mensch-System-Interaktion – Teil 210: Prozess zur Gestaltung gebrauchstauglicher interaktiver Systeme.

Meyer, C., & Schwager, A. (2007). Understanding customer experience. Harvard business review, 85 2, 116-26, 157 .

Robier, J. (2016): Das einfache und emotionale Kauferlebnis. Mit Usability, User Experience und Customer Experience anspruchsvolle Kunden gewinnen. 1. Auflage. Wiesbaden: Springer Gabler.

Salazar, K. (2019): User Experience vs. Customer Experience – What’s the Difference? Nielsen Norman Group: www.nngroup.com/articles/ux-vs-cx/.

Portraitfoto: Friedemann Dohse

Friedemann Dohse

User Experience Consultant

eresult GmbH

Bisher veröffentlichte Beiträge: 6

6 Kommentare

  • Hey Kollege ‍♀️
    Sehr wichtiger und super Beitrag! Danke Friedemann
    Erfahrungsgemäß werden mittlerweile innerhalb von Organisationen UX und CX getrennt und sogar durch verschiedene Abteilungen und Verantwortlichkeiten aufgeteilt. Diesbezüglich sollte wirklich aufgepasst werden.
    Dein Fazit trifft es sehr gut und so sollte es laufen. ‍♀️
    Beste Grüße
    Rebecca

  • Holger Fischer

    Moin Friedemann,
    sehr schöner Artikel.
    Die Abbildung des Zeitstrahls hat mich etwas stutzig gemacht. Woran machst du fest, dass ISO 9241 erst 2006 die Usability Standards begründet? ISO 13407 als Vorläufer der ISO 9241-210 existierte in der letzten Fassung vor der Überarbeitung schon seit 1999. Gerade die ergonomischen Normen der Bildschirmverordnung ISO 9241-2, -3, -4 etc. haben ebenfalls eine noch längere Historie.

    • Moin Holger,
      danke für deinen Kommentar! Da hast du einen guten Punkt. 2006 wurde die ISO 9241 von der Einschränkung auf Büroarbeit befreit. Seitdem gilt die Norm nicht mehr nur für Software und Bildschirmarbeit, sondern in einem allgemeineren Sinne für „interaktive Systeme“. Tatsächlich existieren die Norm-Vorläufer aber schon länger. Korrekter wäre also, das Erscheinungsjahr der ersten Norm, die Berührungspunkte mit Usability hat, zu nehmen. Das wäre unserer Recherche nach 1992 (ISO 9241-2:1992-06).

      Beste Grüße
      Friedemann

  • Henning Brau

    Tag, alles in allem ein prima Blogbeitrag. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass die Verankerung in einer Norm eben nicht wissenschaftlich ist, sondern in iterierenden Diskussionsrunden zwischen Interessensvertretern verschiedener Parteien aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik als kleinster gemeinsamer Konsens entsteht. Normierung ist wichtig und gut aber keinesfalls (rein) wissenschaftlich.

    • Guten Tag,
      danke für diese Ergänzung! Eine Norm hilft dabei vom selben zu sprechen, hat ihren Ursprung aber nicht einzig und allein in der Wissenschaft, sondern entsteht im Austausch mit den Interessensgebieten Wirtschaft und Politik. Wichtig für die Einordnung.

      Viele Grüße
      Friedemann

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