Wie Emotionen, UX und Produkterfolg zusammenhängen

Mädchen spielt mit Dinosaurier-Puppe

Die emotionale Bindung zu einem technischen Artefakt

In meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität führte ich verschiedene Studien mit Usern durch, bei denen ich beobachtete, wie sie sich mit einem kleinen grünen Dinosaurier beschäftigten. Er hatte ungefähr die Größe einer Katze, große blaue Kulleraugen, reagierte auf seinen Namen sowie auf Berührungen durch eine Art schnurren und wenn ihm ein spezielles Futter vor die Nase gehalten wurde, fraß er es sogar aus der Hand. Dabei gab er genüssliche Kaugeräusche von sich. Nicht nur die User, auch meine Kolleg*innen und ich waren fasziniert von dem kleinen Dinosaurier, der sich fast wie ein echtes Lebewesen verhielt. Aber nur fast. Denn die lauten Motorengeräusche konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hierbei um ein künstliches, technisches Produkt handelte. Und dennoch behandelten wir den kleinen Dinosaurier-Roboter unwillkürlich wie ein echtes, lebendes Tier.

Die Forschung hat gezeigt, dass positive Emotionen mit einer Reihe an wünschenswerten Verhaltensweisen assoziiert sind, die auch für Kaufentscheidungen eine zentrale Rolle spielen. Doch um zu wissen, wie Emotionen genutzt werden können, um Verhalten zu steuern, muss zunächst die Frage geklärt werden: Was sind Emotionen? Welches wissenschaftliche Modell kann dabei helfen, die Emotionen von Usern zu verstehen?

Tatsächlich ist die emotionale Bindung zu einem technischen Artefakt, einem Produkt, ein weitverbreitetes Phänomen. So geben Menschen ihren Staubsauger-Roboter Namen, organisieren Beerdigungen für ihre künstlichen Haustiere (z. B. Aibo) und verleihen dem sozialen Roboter Sophia sogar die Staatsbürgerschaft[i]. Diese Ankedoten werden unterstützt durch wissenschaftliche Befunde[ii] [iii], die zeigen, dass wir emotional auf Maschinen reagieren. Und das, obwohl wir wissen, dass sie nicht echt sind.

Was sind Emotionen?

Das Fünf-Komponenten-Modell

Die Forschungsliteratur bietet eine Vielzahl an unterschiedlichen Emotionsdefinitionen, -konzepten und Modellen. Obwohl es bis heute keine einheitliche, gemeinsame Theorie gibt, so wird doch die Auffassung von Emotionen als ein Mehrebenen-Phänomen mehrheitlich geteilt. Demnach bestehen Emotionen aus fünf verschiedenen Komponenten:

  • Kognitive Komponente
  • Neurophysiologische Komponente
  • Motivationale Komponente
  • Motorisch-expressive Komponente
  • Subjektive Gefühlskomponente

All diese Komponenten sind an einem emotionalen Prozess beteiligt.

Kognitive Bewertungstheorie

Eine weit verbreitete und allgemein anerkannte Emotionstheorie stellt die kognitive Bewertungstheorie nach Scherer (u. a. 2003) dar. Demnach werden Emotionen von spezifischen Bewertungen hervorgerufen und sind individuell unterschiedlich. Entscheidend ist, dass auf die Bewertung eines relevanten externalen oder internalen Reizes eine Sequenz aus miteinander verbundenen, synchronisierten Veränderungen von allen oder den meisten affektiven Komponenten folgt. Dieses Muster aus synchronisierten Veränderungen der Komponenten über die Zeit hinweg bildet eine Emotion.

Bewertungsdimensionen und Emotionen

Welche Bewertungsdimensionen gibt es?

Tabelle 1: Vorhersage von vier Hauptemotionen und sozialen Funktionen auf Basis von Bewertungskriterien (adaptiert nach Ellsworth & Scherer, 2003[iv] und Scherer, 2009[v])

BewertungsbereichBewertungskriteriumUnterkategoriesoziale FunktionenEmotionen
RelevanzNeuheitNeu und wichtigFokussierenFreude, Ärger, Furcht, Trauer
  Neu und unwichtig
AngenehmIntrinsisch angenehmAngenehmWeiterempfehlenFreude
  UnangenehmAblehnenFurcht (Ärger, Trauer)
ZielrelevanzEintrittswahrscheinlichkeitHochFokussierenFreude, Ärger, Furcht, Trauer
  Niedrig
 ZielerreichungFörderlichBeruhigungFreude
  BehinderndAktivierungÄrger, Furcht, Trauer
BewältigungspotentialKontrolle/ MachtHochBehauptung/ DominanzFreude, Ärger
  NiedrigRückzugFurcht, Trauer
 AnpassungHochBehauptung/ DominanzFreude, Ärger, (Trauer)
  NiedrigRückzugFurcht, (Trauer)

Ärger entsteht beispielsweise, wenn ein Ereignis neu und wichtig ist (dabei kann, muss es aber nicht zwingend als unangenehm bewertet werden), zielrelevant ist, es aber die Zielerreichung behindert und das Bewältigungspotential als hoch eingestuft wird. Dagegen unterscheidet sich Furcht von Ärger, wenn ein Ereignis als zielrelevant aber die Zielerreichung behindernd eingestuft wird und das Bewältigungspotential als niedrig bewertet wird. Das Modell wurde primär für die Vorhersage von mimischen Veränderungen entwickelt. Nach Scherer (2003, 2009) laufen diese Bewertungsprozesse automatisch und unbewusst in Mikrosekunden ab.

Abbildung 1: Zusammenhang zwischen Bewertungen (Stimulus Evaluation Checks) und mimischen Reaktionen (in Anlehnung an Scherer & Ellgring, 2007)[vi], vereinfachte Darstellung

Inwiefern sind diese Bewertungsdimensionen nun nutzbar für die Steuerung des (Kauf-) Verhaltens?

Bewertungsdimensionen und positive Emotionen

Nach o. g. Modell wäre ein Ereignis, das als neu und wichtig bewertet wird und einen hohen Grad an Annehmlichkeit, Zielrelevanz, Förderlichkeit für die Zielerreichung und Bewältigungspotential aufweist, Voraussetzung dafür, dass positive Emotionen erlebt werden.

Doch wie kann man sich das konkret vorstellen?

Beispiel für die Umsetzung

Als 2007 das iPhone auf den Markt kam, war es eines der ersten seiner Art (Neuheit), es versprach einen hohen Grad an Annehmlichkeit (Pleasantness) und den Nutzer*innen eine schnelle und einfache Erreichung ihrer Ziele (Zielerreichung), für das kein Expertentum verlangt war (hohes Bewältigungspotential). Nach o.g. Modell sind dies gute Voraussetzungen für positive Emotionen wie Freude (und Vermeidung von Traurigkeit). Und so war es nicht verwunderlich als 2007 hunderte von Fans auf Bürgersteigen vor den Shops campierten, um unter den Ersten zu sein, die ihr neues iPhone ihr Eigen nennen konnten.

Warum positive Emotionen unerlässlich für den Produkterfolg sind

Zunächst sollten Produkte und Dienstleistungen gebrauchstauglich sein, sodass User ihre Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend erreichen. Doch das allein reicht heute meist nicht mehr um sich von der Masse an gleichartigen Produkten abzugrenzen. Stattdessen sollte ein Produkt oder eine Dienstleistung Usern auch ein Erlebnis bieten, die sogenannte User Experience, d. h. konkret: User sollten sich gut fühlen, bevor, während und nachdem sie ein Produkt nutzen. Mehr noch: sie sollten begeistert sein, sodass das Produkt in positiver Erinnerung bleibt, es immer wieder genutzt und weiterempfohlen wird. Denn so ist es erfolgreich und kann sich gegenüber seiner Konkurrenz behaupten.

Oft weniger präsent, aber nicht minder wichtig, gilt das nicht nur für den B2C-Bereich, sondern gleichfalls für das B2B-Commerce: Denn auch im Business-Kontext spielen Emotionen eine wichtige Rolle. Wenn bei einem ERP-System Änderungen nicht übernommen werden (Behinderung in der Zielerreichung) oder das System für neue Angestellte zu kompliziert in der Bedienung ist (Bewältigungspotential), dann führt das unweigerlich zu negativen Emotionen, die über kurz oder lang dazu führen, dass das Produkt nicht weiter genutzt wird. Allerdings hängt das stark davon ab, wie die Bewertungen für jeden Einzelnen ausfallen. So kann ein System, das für die Einen zu kompliziert in der Bedienung erscheint und daher vermieden wird, für die Anderen eine Herausforderung darstellen, sich intensiv mit dem System auseinanderzusetzen und bei erfolgreicher Bewältigung Selbstwirksamkeit und somit positive Emotionen zu erleben (bei Zielrelevanz). Aus diesem Grund ist es besonders wichtig, von Anfang an User in die Entwicklung des Produkts miteinzubeziehen. Es nützt nichts, ein Produkt zu entwickeln, das zwar schön aussieht, aber an den Nutzerbedürfnissen vorbei entwickelt wurde, sprich: nicht gebraucht wird bzw. zu schwer verständlich ist. Denn dann werden mit der Nutzung des Produkts negative Emotionen assoziiert, die die User Experience nachhaltig beeinflussen können.

Frühzeitige Nutzerbefragungen sind für den Produkterfolg essentiell (User Research und Testing)

User sollten bereits frühzeitig in die Entwicklung eines Produkts miteinbezogen werden. So können von Anfang an die verschiedenen Bewertungsdimensionen (Welche Erwartungen gibt es? Wie kann die Zielerreichung unterstützt werden? Wie steht es um die Einschätzung des Bewältigungspotentials? Etc.) in die Konzeptionsphase integriert werden um gute Voraussetzungen für die Entwicklung positiver Emotionen zu schaffen. Ob das dann tatsächlich gelungen ist, lässt sich sehr gut mittels Erhebung der Emotionen der User herausfinden. Das geht über unterschiedliche Wege:

  • Analyse der Mimik
  • Befragung
  • Physiologische Messung (Hautleitwiderstand, etc.)

Die am meisten verbreitete Methode ist jedoch die Befragung aus einem einfachen Grund: sie ist ökonomisch, einfach durchführbar und ressourcenschonend. Allerdings können auf diese Weise nur die bewusst erlebten und kommunizierbaren Emotionen erfragt werden, die User freiwillig von sich Preis geben wollen. Die automatischen und unbewussten Emotionen können über diese Methode nicht erhoben werden. Tatsächlich sind aber gerade Emotionen, die in dem allerersten Moment, nachdem User mit einem Produkt in Kontakt gekommen sind, erlebt werden, diejenigen, die die gesamte spätere User Experience beeinflussen. Oftmals können User diese nur schwer rekonstruieren und verbal mitteilen, da sie nicht bewusst erlebt wurden. Diese zu identifizieren, erfordert den Einsatz aufwendigerer Verfahren (Mimikanalyse, Eyetracking, etc.), weshalb sehr viele davor zurückschrecken. Doch es lohnt sich, auch einen Blick über den Tellerrand zu werfen.

Doch bevor dann User aus Angst vor den Kosten erst gar nicht mehr einbezogen werden, lautet die primäre Devise: Testen! Denn auch die bewusst erlebten Erfahrungen, die die Testpersonen kommunizieren, helfen bei der Einschätzung wie gut ein Produkt „ankommt“. Sprich: ob positive Emotionen erlebt wurden. Und das trägt im Endeffekt dazu bei, dass ein Produkt auf dem Markt erfolgreich ist und sich von der Konkurrenz absetzen kann. Wenn es nicht nur funktioniert, sondern auch begeistert.

Die User, meine Kolleg*innen und ich waren jedenfalls begeistert über den Dinosaurier-Roboter Pleo.


Beitragsbild: Cory Doctorox | Flickr


[i] Delcker, J. (2018). Europe divided over robot ‘personhood’. Retrieved from https://www.politico.eu/article/europe-divided-over-robot-ai-artificial-intelligence-personhood/

[ii] Menne, I. M., & Schwab, F. (2018). Faces of Emotion: Investigating Emotional Facial Expressions Towards a Robot. International Journal of Social Robotics, 10(2), 199–209. https://doi.org/10.1007/s12369-017-0447-2

[iii] Menne, I. M. (2020). Facing Social Robots: Emotional Reactions towards Social Robots. Würzburg: Würzburg University Press

[iv] Ellsworth, P. C., & Scherer, K. R. (2003). In R. Davidson et al. (eds.), Handbook of Affective Sciences (pp. 572-595). New York: Oxford University Press.

[v] Scherer, K. R. (2009). Emotions are emergent processes: they require a dynamic computational architecture. Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences, 364(1535), 3459–3474. https://doi.org/10.1098/rstb.2009.0141

[vi] Scherer, K. R., & Ellgring, H. (2007). Are facial expressions of emotion produced by categorical affect programs or dynamically driven by appraisal? Emotion, 7(1), 113–130. https://doi.org/10.1037/1528-3542.7.1.113

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert