Akzeptanz = Nutzung? Warum viele Apps direkt wieder vergessen werden – und warum Längsschnittstudien aufschlussreich sind.
Die „Akzeptanz“ von neuen Produkten und technologischen Innovationen wird stets als das Must-have-Kriterium schlechthin gehandelt, gerade wenn es um mobile Trends, Anwendungen und neue Apps geht. Doch was ist Akzeptanz eigentlich? Und, (wie) kann ich diese eigentlich beeinflussen? Kann ich da einfach meine Nutzer befragen?
Um diese Fragen der Beeinflussung und der richtigen Analysemethode beantworten zu können, muss man sich das Problem – und somit die Basis der Forschungsfrage natürlich en detail ansehen…
Nutzung als Erfolgskriterium. Und das Problem der Einmal-Nutzung
Wie sich in Bezug auf die Verbreitung und Nutzung mobiler Apps in unserem Alltag zeigt, besteht hier wohl offensichtlich eine sehr hohe Akzeptanz und Nutzungsbereitschaft. So haben laut einer aktuellen Studie von Yahoo Android-User durchschnittlich 95 Apps auf ihren Smartphones installiert – der Haken: es werden im Schnitt nur rund 36% davon genutzt. Andere Studien zeigen, dass von allen heruntergeladenen Apps 95% nach 30 Tagen wieder vergessen und nicht weiter genutzt werden, 26% schaffen es sogar nicht einmal bis zu einer zweiten Nutzung der App (vgl. Yahoo, Eimeren).
Für alle, die mit mobilen Apps Umsätze oder (kommunikative) Reichweite generieren möchten, sind diese Zahlen natürlich fatal. Und es stellt sich also die direkte Frage, wie und warum dieses Verhalten zustande kommt und, vor allem, wie man das ganze positiv beeinflussen und der Einmalnutzungsproblematik entgegenwirken kann. Hierzu muss man sich erst einmal darüber im Klaren werden, welche Phasen ein Nutzer eigentlich alle durchläuft und worin hier dann jeweils die Gründe für eine Nichtnutzung bzw. einen Nutzungsabbruch liegen.
Akzeptanz vs. Nutzung – Einstellung vs. Handlung
So einfach wie die Abschnittsüberschrift ist es nicht ganz. Aber immerhin fast. Was im Volksmund allgemein unter dem Begriff „Akzeptanz“ gehandelt wird, wird im wissenschaftlichen Bereich gerne akribisch aufgeschlüsselt und/oder langatmig diskutiert. Das wollen wir hier nicht tun. Wohl aber möchte ich hier gerne das Kernergebnis meiner Recherchen darstellen, da diese die Basis für das ganzheitliche Verstehen im Kreislauf App-Nutzung vs. -Nichtnutzung darstellt (der interessierte Leser kann sich zu diesem und anderen Themen aber natürlich gerne in meinem Buch Akzeptanz und Nutzung mobiler Applikationen tiefer einlesen).
Grundsätzlich kann man zwischen einer mentalen Einstellungskomponente, der Akzeptanz, sowie einer handlungsbezogenen Komponente, der sog. Adoption im Sinne einer längerfristigen Nutzung unterscheiden. Vereinfacht kann man das Ganze dann so herunterbrechen: Ein (potenzieller) Nutzer hört von einer App, bildet sich aufgrund des Gehörten eine Meinung (=Einstellung), hat im positiven Falle sodann die Motivation die App herunterzuladen, probiert die App aus, berichtigt aufgrund der selbst gemachten Erfahrungen seine Meinung zu der App und beschließt schließlich aufs neue die App zu nutzen oder eben auch nicht (vgl. Abb1 und Rogers 2003).
Wir sehen also, dass es hier zwei kritische Punkte gibt, welche die Nutzung einer App beeinflussen. Und genau daher setzen hier einmalig durchgeführte Trendstudien zur „Akzeptanz von XY“ zu kurz an. Denn diese werden dann entweder mit potenziellen Nutzern durchgeführt, welche sich noch gar kein Bild von der App machen können oder mit Nutzern welche die App schon kennen und nutzen. Ersteres führt vor dem Hintergrund des fehlenden Kontexts dazu, dass ein valider Transfer von Aussage und tatsächlich folgendem Verhalten kaum möglich ist. Befragt man nur Nutzer, verzerrt man sozusagen seine Stichprobe ins Positive und man hat keine Möglichkeit mehr Antworten auf die Frage anfänglicher Nutzungsbarrieren und Abbruchrisiken zu bekommen.
Langzeitstudie und warum einmal „ja“ nicht immer „ja“ bedeuten muss
Vor diesem Hintergrund ist also eine Langzeitstudie gefragt, welche über die Momentaufnahme eines Querschnitts hinausgeht. Im Rahmen meiner Dissertation habe ich mir vor diesem Thema der Einmalnutzungsproblematik diese ersten beiden Phasen im sog. Übernahmeprozess mobiler Apps einmal genauer angesehen. Im Vordergrund standen dabei diejenigen Faktoren, welche die Akzeptanz und Nutzung mobiler Apps beeinflussen und ob bzw. welche Unterschiedlichkeiten zu den jeweiligen Zeitpunkten bestehen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist insbesondere, dass neben den Aspekten der Einstellung und Nutzung vor allem auch die beeinflussenden Aspekte der App berücksichtigt werden, also die Rädchen, an denen ich auch drehen kann um die Akzeptanz und Nutzung bestmöglich zu beeinflussen.
Einflussfaktoren der Nutzungsabsicht mobiler Apps
Die Motivation eine App herunterzuladen und zu nutzen bedingt sich aus dem zu erwartenden Mehrwert, den mir die App bieten kann. Das sollte zwar je nach Applikation unterschiedlich ausdefiniert werden, eine grundsätzliche „Schubladisierung“ des Mehrwerts kann aber durchaus erfolgen. Ebenso hinsichtlich der beeinflussenden Faktoren, also jener Kriterien, die einen Einfluss darauf ausüben, wie unsere Erwartungen an den Mehrwert ausfallen. Letzten Endes wird die Absicht eine mobile App zu nutzen von zwei unterschiedlichen, aber sich ergänzenden Mehrwert-Aspekten beeinflusst: Zum einen den rein faktischen, utilitären Vorteilen, welche ich aus der Nutzung ziehen kann, wie eine der zeit- und ortsunabhängigen Nutzung, die effiziente Erreichung meiner Ziele, die einfache Bedienbarkeit, die Bequemlichkeit (z.B. nicht erst den PC hochfahren zu müssen) oder aber auch die Sorge um private Daten als negativen bzw. vorteilsminimierenden Aspekt. Zum anderen beeinflussen spaßorientierte, hedonistische Vorteile die Nutzungsabsicht, welche sich im Rahmen des Hier und Jetzt auswirken und schlicht und einfach den Spaß beschreiben, welchen ich bei der Nutzung der App empfinde.
Diese Mehrwertkomponenten werden durch die vom Nutzer wahrgenommenen Eigenschaften der App beeinflusst. Auch diese lassen sich wiederum zweiteilen: Zum einen in technische Qualität des Systems, wie die Verlässlichkeit der App, die Reaktionsgeschwindigkeit, die Navigierbarkeit (Stichwort: Informationsarchitektur) sowie die Möglichkeit die App, z.B. über Einstellungen, an meine eigenen Bedürfnisse anpassen zu können (Adaptierbarkeit). Daneben beeinflusst zum anderen natürlich auch die Qualität der Informationen den wahrgenommenen Mehrwert. Dies umfasst dann Kriterien wie die Vollständigkeit und Aktualität der Informationen (was gerade im mobilen Bereich nicht immer gegeben ist), die Relevanz als auch das Informationsdesign.
Studiendesign
Um nun zu überprüfen ob und wie diese Faktoren den Nutzer in den jeweiligen Phasen der Übernahme beeinflussen ist also eine mehrstufige Analyse notwendig. Ich habe dies am Beispiel mobiler Jobportal-Applikationen einmal durchexerziert. Das erste Ziel ist hierbei also zu verstehen, was den potenziellen Nutzer dazu veranlasst, sich eine App auf das Handy zu laden und auszuprobieren. Es geht also um die grundsätzliche Akzeptanz sowie die darin begründete Handlungsmotivation vor einer erstmaligen Nutzung. Im Folgenden geht es sodann um die Frage, was den Nutzer dann dazu veranlasst die App weiter zu nutzen. Im Rahmen meiner Studie habe ich daher auch auf ein Labor-Experiment zurückgegriffen, in welchem ich eine zweistufige Analyse vor und nach einer ersten Nutzungserfahrung durchgeführt habe. Konkret:
1a) Kurzeinführung in die Thematik
1b) Erste Befragungsrunde (vor Erstnutzung)
2a) Praktische Anwendung/Interaktion
2b) Zweite Befragungsrunde (nach Erstnutzung)
Die erste Erhebung erfolgte also unter potenziellen Nutzern einer App. Das heißt, in einer quantitativen Befragung wurden Personen befragt, welche zum einen zwar als Zielgruppe in das relevante User-Set der Job-App fielen (konkret: Studenten im letzten Semester vor dem Abschluss), zum anderen die besagte Applikation jedoch noch nicht kannten (jene Datensätze wurden aus der Datenanalyse ausgeschlossen). Den Teilnehmern wurde eine Kurzeinführung in die Thematik inkl. einer Szenariobeschreibung sowie einer visuellen Reizvorlage der mobilen Job-App gegeben. Dies gewährleistet, dass die Probanden möglichst realitätsnah die Download- und Installationsentscheidung aus dem App-Store nachempfinden. Nach der Vorstellung des Untersuchungsobjekts wurde den Probanden dann der Befragungsbogen vorgelegt, in welchem sie zu ihren Einschätzungen und Erwartungen bezüglich der Anwendung befragt wurden. Der Fragebogen beinhaltete hierbei ein Set an Frageitems zu den genannten Konstrukten als auch allgemeinen Nutzungsmerkmalen von Smartphone, Apps und Co. sowie die gängigen demographischen Merkmale.
Im Anschluss an die erste Befragung erfolgte eine direkte Nutzugsphase der mobilen Jobportal-App im Rahmen eines sog. „free simulation“ Experiment. Bei diesem Vorgehen werden die Untersuchungsteilnehmer mit realitätsorientierten „real-world scenarios“ konfrontiert, in welchen das Untersuchungsgeschehen zwar im Grundsatz durch den Researcher beeinflusst wird, die Probanden hierin jedoch frei agieren und entscheiden können. Die Teilnehmer erhielten hier ein Bedarfsszenario mit teilstrukturierten Aufgaben. Dieses Vorgehen wurde gewählt, um die Applikation in verschiedenen Anwendungskontexten zu testen und somit eine verbesserte Robustheit und Generalisierbarkeit der Ergebnisse in Bezug auf verschiedene Nutzungs- und Anwendungsziele zu erreichen. Im Anschluss an diese Nutzungsphase wurde den Teilnehmer der Fragebogen erneut vorgelegt.
Ergebnis – Vorher ist nicht gleich nachher
Auch bei der durchgeführten Studie zeigt sich ganz klar und signifikant (p<0,05) wieder die Einmalnutzungsproblematik: Während vor der ersten realen Nutzung gut 72,3% angeben die App nutzen zu wollen, waren dies nach der ersten Nutzungserfahrung nur noch 61,7%. Doch worin liegen nun die Gründe und was sind die Einflussfaktoren? Gründe der geänderten Nutzungsmotivation liegen in den Erwartungen an den Mehrwert. Dies trifft vor allem für die Aspekte Effizienz, die Sorge um private Daten und den Spaß bei der Nutzung zu. Dabei wird die zu erwartenden Effizienz, mit der Nutzung der Job-App wirkungsvoller und effektiver nach Jobangeboten suchen zu können, nach der ersten Nutzung signifikant schlechter bewertet. Demgegenüber steigt jedoch die Erwartung an den Spaß bei der (künftigen) Nutzung und die Sorge um die privaten Daten geht deutlich zurück – interessant ist hier jedoch, dass der Einfluss der Sorge um die eigenen Daten auf den wahrgenommenen Mehrwert zunimmt, also im weiteren Verlauf relevanter ist. Das heißt: Bestehen Bedenken bezüglich der Sicherheit (was tendenziell weniger der Fall ist) wirken sich diese zentral auf die weiter Nutzungsabsicht aus.
Einflussfaktoren des erwarteten Mehrwerts: Schaut man sich die beiden beeinflussenden Aspekte der Qualität des Systems und der Qualität der Informationen an, zeigen sich spannende Ergebnisse. Denn die antizipierte technische Qualität des Systems übt vor der ersten Nutzung keinen signifikanten Einfluss auf den erwarteten Mehrwert und folglich keinen Einfluss auf die Nutzungsmotivation aus. Erklärt wird dies dadurch, dass die Qualität des Systems, also der App, als eine Art Hygienefaktor fungiert, welcher erst dann relevant wird, wenn implizite Erwartungen nicht erfüllt werden. Und genau dies trat in beschriebener Studie auf. Die zu erwartende Qualität der App wurde nach der ersten Nutzung schlechter bewertet als zuvor und beeinflusst erst im Rahmen der weiterführenden Nutzung den zu erwartenden Mehrwert. Hierbei insbesondere die Aspekte der Verlässlichkeit der App sowie deren Adaptierbarkeit.
Hinsichtlich der Qualität der Informationen spielt in beiden Phasen vor allem die Relevanz eine entscheidende Rolle. Die Vollständigkeit spielt hingegen nur in der ersten Entscheidungsphase vor der Nutzung eine Rolle – die Teilnehmer machen sich also offensichtlich Gedanken darüber, ob in einer App auch tatsächlich alle Informationen zugänglich sind, welche z.B. auch stationäre abrufbar sind. Nach der Einsicht, dass dies der Fall ist, verschwindet der Einfluss.
Fazit
Fazit für App-Entwickler und -Vermarkter
Es zeigt sich, dass Nutzer in verschiedenen Phasen anders denken und handeln. Entsprechend müssen sie auch dort abgeholt werden. Im konkreten Fall heißt das zum Beispiel, dass eine App im App-Store durchaus mit anderen Kriterien beworben werden muss, als dies a) aktuelle der Fall ist und b) als das was dann die tatsächliche Nutzung beeinflusst und ggf. auch den größten Entwicklungsaufwand gekostet hat. So finde ich aktuell bei vielen Apps in der Beschreibung eine endlose Liste, welche Bugs in welchem Release 8.17.Beta-was-weiß-ich behoben sind. Um beim Beispiel der Job-App zu blieben wäre aber eher ein Hinweis sinnvoll gewesen. Was mit persönlichen Daten passiert – nämlich nichts, weil keine eingegeben werden müssen. Oder, dass mobil tatsächlich alle Stellenanzeigen ebenso vollständig und aktuell abgerufen werden können wir auf der Desktop-Version. Sprich Fokussierung auf die Qualität der Inhalte nicht der Technologie (da Hygienefaktor). Ein Hinweis/eine Nutzerstimme wie spaßig das Ganze ist wäre dann noch die Kür und die Motivation zum Download geschafft. Für die längerfristige Nutzung sind hingegen aber natürlich auch die systembezogenen Qualitätsaspekte sicherzustellen, so dass die Nutzer beispielsweise die Anwendung nach ihren Bedürfnissen anpassen können, z.B. durch Einstellungen oder Filterkriterien. Eine Analyse der Nutzerzielgruppe sowie eine zielgruppenspezifische und nutzerbasierte Anforderungsanalysen sind da natürlich die Basis schlecht hin (und sowohl Nutzerbeschreibungen als auch Anforderungsanalysen sind bei eResult natürlich in bester Hand).
Fazit für Marktforscher
Marktforscher wissen eigentlich ohnehin schon, was ich ihnen sagen möchte: Stets die passende Methode zu nutzen. Aber vielleicht dient dieser Beitrag nochmals dazu, wieder einmal öfters darüber nachzudenken, was eigentlich die richtige Methode ist und ob „das was wir immer so machen“ zwar in der Regel gut und passend ist – aber eben nur in der Regel und doch nicht „immer“. Von daher Augen auf und: die Nutzerbrille aufsetzten! Nicht nur, aber vor allem auch bei der quantitativen UX-Forschung, denn das Offensichtliche ist nicht immer das Richtige. Auch das versuche ich mir stets in meinem Arbeitsalltag als Produktmanagerin für Quantitatives bei eResult vor Augen zu halten – möge es mir hoffentlich stets gelingen.
Quellen
Eimeren, Birgit van; Frees, Beate (2012): Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2012. 76 Prozent der Deutschen online – Neue Nutzungssituationen durch mobile Endgeräte. Media Perspektiven (7-8), 362–379.
Pocketgamer.biz: Application Price Distribution, online unter: http://www.pocketgamer.biz/metrics/app-store/app-prices/ (Stand 19.02.215)
Rogers, Everett M. (2003): Diffusion of innovations. 5. Aufl., New York, NY: Free Press.
Yahoo Aviate: How Android Users Interact With Their Phones, online unter http://yahooaviate.tumblr.com/post/95795838933 (Stand 19.02.2015)