Nutzen Sie ‚Kulturdimensionen‘ zur erfolgreichen Internationalisierung und Lokalisation

Laptop zeigt Weltkarte mit verschiedenen Makierungen. Weitere Schreibutensilien und Datenauswertungen sind auf dem Tisch verteilt-

Der Erfolg internationaler Websites hängt maßgeblich davon ab, wie gut das Interface auf die länderspezifischen Anforderungen und Erwartungen ausgerichtet ist. Es gilt stets, die jeweiligen Märkte, Zielgruppen und lokalen Wettbewerber genauestens zu analysieren, um seine Website zu internationalisieren bzw. multiplizieren (Schritt 1) und dann erfolgreich lokalisieren (Schritt 2) zu können.

Hierbei helfen Ihnen die sogenannten ‚Kulturdimensionen‘ nach Hofstede, Hall/Hall und Trompenaars.

Was sind Kulturdimensionen?

Kulturelle Denkmuster, die sich charakterisieren, schematisieren und voneinander abgrenzen lassen. Sie reflektieren wesentliche Bereiche möglicher kultureller Verschiedenheit. D.h. die Mentalität der Menschen verschiedener Kulturräume werden auf grundlegende menschliche Verhaltensmuster zurückgeführt, um die diese anschließend im Vergleich auf einer Skala zwischen zwei Polen anordnen zu können.

Zum besseren Verständnis ein Beispiel von wikipedia:
Käme man zu der Auffassung, dass der „Umgang mit der Hierarchie in Unternehmen“ eine grundlegende Kulturdimension der Menschheit ist, würden die jeweiligen Kulturstandards in der Reihenfolge „sehr kollegial“ in Dänemark – „eher kollegial“ in Deutschland – „autoritär“ in Japan – „sehr autoritär“ in Frankreich angeordnet werden können.

Für was dienen Kulturdimensionen?

  • als Virtueller Raum für den Vergleich von Kulturen
  • als Analyseinstrument für einen gruppenbezogenen „kulturellen Überblick“
  • zur Sensibilisierung für kulturelle Unterschiedlichkeiten und Gemeinsamkeiten

Sie dienen somit als hervorragender Orientierungspunkt für die länderspezifische Gestaltung von Websites, Software und anderen grafischen Interfaces.
Denn: Kulturen unterscheiden sich nicht nur in der Sprache, Symbol, Bild, Farbe und Format von Datum und Uhrzeit, sondern auch hinsichtlich Emotionen, Persönlichkeit, Wahrnehmung, Kognition und Denkstil.

Diese kulturellen Unterschiede haben unweigerlich einen Einfluss auf die Wahrnehmung von und Erwartungen an das Interaktions- und Interfacedesign.
Beispielsweise darauf, welche Arten von Prozessen (z. B. im Checkout) bevorzugt werden, wie viel „Freiheit“ die Nutzer bei der Interaktion brauchen, welche Aspekte in der jeweiligen Kultur Vertrauen schaffen, welcher Ablauf der „klassische“ für eine Online-Bestellung ist, etc.

Diese These als auch die damit verbundenen länderspezifischen Unterschiede bestätigen sich in unseren beiden eigenen Studien

sowie unterstreichen die Erfordernis der Lokalisierung von Interfaces.
Eine reine Multiplikation von Geschäftsmodell und Interface (eine gute Übersetzung einmal vorweg genommen) führt zu keinem nachhaltigen Erfolg bzw. eher zu schmerzlichen Umsatzeinbußen / schlechten KPIs.

Die 5 Kulturdimensionen nach Hofstede

Die mit Abstand umfangreichste, empirische Studie (in 53 Ländern mit 116.000 IBM-Mitarbeitern) stammt von dem Niederländer Geert Hofstede.
Er identifizierte folgende Dimensionen:

  • Machtdistanz (Power Distance Index – PDI)
  • Kollektivismus versus Individualismus (IDV)
  • Maskulinität versus Feminität (MAS)
  • Unsicherheitsvermeidung (Uncertainty Avoidance Index – UAI)
  • Langzeit- versus Kurzzeitorientierung (Long-Term Orientation – LTO)

Auf seiner Website lassen sich 3 beliebige Länder bzw. Kulturen miteinander vergleichen, um auf den 5 Dimensionen Unterschiede zu erkennen und Maßnahmen abzuleiten.

Kulturelle Dimensionen und der Einfluss auf Komponenten der Interface-Gestaltung

Die Komponenten eines Interfaces lassen sich unterteilen in:

  • Metaphern: Konzepte, die Funktionsweise verdeutlichen (z. B. Desktop, Papierkorb)
  • Mentale Modelle: Struktur; wie sind Inhalte angeordnet und miteinander verbunden (Hierarchie von Content, Funktionen, Informationen, Aufgaben)
  • Navigation: Ermöglichen die Bewegung durch das mentale Modell (z. B. über Icons, Fenster, Menüs, Pop-up)
  • Interaktion: Alle Ein- und Ausgabeelemente und –möglichkeiten (Mouse, Tastatur, Lautsprecher)
  • Erscheinung: Alle Attribute, die man wahrnehmen kann z. B. Farbe, Grafiken, Icons, Abbildung von Personen, Töne etc.
Kulturdimension Machtdistanz und deren Einfluss auf die Interface-Komponenten

Kulturdimension Machtdistanz und deren Einfluss auf die Interface-Komponenten

Anwendungsbeispiel Deutschland – USA – Russland

Deutschland, USA und Russland im Kulturdimensionen-Vergleich

Deutschland, USA und Russland im Kulturdimensionen-Vergleich

Aufgrund dessen, das Russland deutlich von Deutschland und USA abweicht, können wir mit hoher Sicherheit
davon ausgehen, dass sich diese kulturellen Unterschiede auch in den Erwartungen
an das Interaktionsdesign und die Nutzerführung widerspiegeln.

  • PDI (Machtdistanz): Diese ist in Russland deutlich ausgeprägt. D.h. hier wird ungleiche Verteilung von Macht eher akzeptiert; Autoritäten kommt hohe Bedeutung zu. Übertragen auf das Interaktionsdesign kann(!) das also heißen: In der russischen Navigation werden eher streng vorgegebene Pfade erwartet; in Deutschland und dem amerikanischen Markt werden eher Querverlinkungen akzeptiert. Auch bezüglich Bildgebung und Textgestaltung kann das heißen, dass in Russland eher „offizielle“ Bilder und Texte erwartet werden; in Deutschland und den Staaten darf es schon mal informeller sein.
  • IDV (Individualismus vs. Kollektivismus): Hier haben die Amerikaner einen sehr hohen Wert; das heißt, sie legen hohen Wert auf freie Meinungsäußerung und Individualität; Aufgaben sind wichtiger als Beziehungen und Harmonie. Das kann z. B. heißen, dass es für die Amerikaner total wichtig ist, Inhalte einer Website personalisieren zu können; dass sie sich individuelle Produktempfehlungen (z. B. auf Basis bisheriger Käufe) wünschen. Bei den Russen würde eher „Top-Seller“, „viele, die das Produkt gekauft haben, haben auch dieses gekauft“, also mehr „Herdentrieb“ und Konformität ankommen.

Grenzen der Kulturdimensionen & Herausforderungen

Es handelt sich um Aspekte einer Kultur / Durchschnittswerte, die nie auf alle Mitglieder einer Kultur zutreffen (können). D.h. es lässt sich nicht zwangsläufig von den Kulturdimensionen auf eine bestimmte Zielgruppe im Land schließen. (Achtung, Stereotypisierung!)

Die Kulturdimensionen und die sich dadurch schildernden Unterschiede zwischen einzelnen Ländern lassen sich jedoch hervorragend als Basis heranziehen, um konkrete Thesen zur Zielgruppe und den eventuell nötigen Anpassung aufgrund der kulturellen Aspekte zu bilden, die dann in einer nachgelagerten Markforschungsstudie (z. B. Online-Befragungen) überprüft werden.

Es gilt also auch weiterhin internationale bzw. länderspezifische Personas zu erarbeiten und diese entlang des gesamten Entwicklungsprozesses zu verwenden. Nicht ohne Grund bestreiten wir in Zusammenarbeit mit der Uni Hildesheim ein entsprechendes Forschungsprojekt zur Bildung von PIA – Personas für internationale Anwendungskontexte.

Qualitative Nutzerstudien vor Ort bzw. im Ausland ersetzen die Kulturdimensionen ebenfalls nicht. Hierbei unterstützen wir gerne mit unserem Knowhow und unseren Kontakten im Bereich International Services.

Weiterführende Informationen und Quellen

Hier möchte ich besonders auf folgende Website hinweisen: www.transkulturelles-portal.com (wird leider gerade überarbeitet…).

Des Weiteren ist das Kapitel 3 „User Interface Design and Culture“ von Aaron Marcus in „Usability and Internationalization of Information Technology“ sehr zu empfehlen.

Sameer Chavan beschreibt in seiner Präsentation „Culture vs. Usability in Enterprise Application“ auf Slideshare hervorragend, worauf es ankommt, wenn man Interfaces für verschiedene Länder anpasst.

Zu guter Letzt noch die beiden anderen Modelle der Kulturdimensionen, die ich Ihnen noch schuldig bin:

Portraitfoto: Martin Beschnitt

Martin Beschnitt

Geschäftsführender Gesellschafter

eresult GmbH

Bisher veröffentlichte Beiträge: 15

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