Quant + Qual – Ein effektives Methodenteam

Tisch von oben mit mehreren Schreibutensilien, Laptop und einigen Geschäftsleuten.

Der idealtypische nutzerorientierte Gestaltungsprozess (UCD-Prozess) unterscheidet (zum Glück) nicht zwischen quantitativen und qualitativen Methoden. Je nach Prozessschritt und Fragestellung können UX-Professionals aus einer Vielzahl an Methoden auswählen. Jedoch zeigt ein Blick auf typische Messen aus Marktforschung oder UX, dass der gleichwertige und gemeinsame Einsatz von Quant und Qual noch weiter reifen kann. Auf der R&R in München sind traditionsgemäß MaFo-Institute zu finden mit starkem quantitativen Fokus; auf der MUC oder dem WUD stehen wiederum UX- und Design-Themen im Fokus mit häufig qualitativem Background – und beim aktuellen Trendthema „Big Data“ werden qualitative Methoden gar nicht mehr eingesetzt.

Dies ist Schade, weil der kombinierte Einsatz beider Methoden (Mixed Method) zu insgesamt besseren Ergebnissen führt, nicht komplizierter/zeitintensiver in der Umsetzung ist und dadurch letztendlich sicherere Entscheidung bietet. Im folgenden Blog-Beitrag werde ich mögliche Einsatzgebiete aufzeigen wie hilfreich der Mixed Method-Ansatz sein kann.

Nutzer und Nutzungskontexte besser verstehen

Technik verändert sich rasant und auch das Marktumfeld ist durch stetige Neuerungen geprägt. Aktuell verändert die steigende Nutzung durch Smartphones nahezu alle Branchen auf die Unternehmen reagieren müssen. Um von diesen nicht immer eindeutig vorhersehbaren Trends nicht überrascht zu werden, ist es ratsam, regelmäßige Analysen über Nutzung und Nutzer durchzuführen. Für viele Unternehmen im E-Commerce ist dies bereits Standard z. B. durch den Einsatz von Web-Analytics oder A-/B-Testing.

Durch diesen sehr zahlengetrieben (=quantitativen) Ansatz können technische Änderungen, wie z. B. der steigende Zugriff über mobile Endgeräte beobachten werden um, daraus richtige Schlussfolgerungen zu ziehen => responsive Umbau des eigenen Webauftritts.

Doch bedeutet z. B. ein Anstieg der Abbrüche auf einer Produktdetailseite oder beim Checkout immer automatisch, dass es Probleme mit der Website gibt?

Die Beantwortung dieser Frage ist stark abhängig vom Nutzungskonzept sowie der Zielgruppe.

  • Will ein Besucher nur Stöbern, dann ist der Besuch insgesamt positiv einzuschätzen, da dies signalisiert, dass der Online-Shop zum Relevant Set gehört. Will der Besucher hingegen ein Produkt kaufen, dann hilft ein tieferer Blick in die Abbruchgründe, was den Kaufabschluss gestört hat.
  • Aber auch Zielgruppen haben unterschiedliche Vorgehensweisen. Silver Surfer sind z. B. noch gewohnt, am Stück zu recherchieren – meist noch auf dem Desktop oder Laptop im Arbeitszimmer bzw. dem PC-Tisch. Zusätzlich ist die Session durch eine lange Dauer geprägt und auch sehr fokussiert, da weniger Tabs parallel geöffnet werden. Jüngere Nutzer wiederum lassen sich beim Online-Shoppen stark inspirieren z. B. durch Social Media-Angebote oder den direkten Austausch durch WhatsApp. In diesem Fall ist die getrackte Session eher kurz und mündet nicht automatisch im Kauf, sondern der Abschluss wird am Abend über ein anderes Gerät (z. B. Tablet) durchgeführt oder ggf. im Store vor Ort.

Diese Komplexität im Nutzungsverhalten können reine Traffic-Daten und Web-Analysen nicht durchdringen. Um diese Lücke zu schließen, empfiehlt es sich auf eher qualitative Methoden zurückzugreifen, um Erkenntnisse zu liefern.

  • Ein recht schnell umsetzbarerer Ansatz sind Webanalysen durch einen oder mehrere Experten zu betrachten. Durch diesen Usability- und Branchenblick können abweichende Zahlen kritisch betrachtet werden, ob es UX-Probleme im Shop gibt oder es andere Gründe bzw. Trends für dieses Verhalten gibt. Bei eresult nennen wir diesen Ansatz Analytic Review.
  • Ein Online-Abschluss ist vor allem bei höherwertigen Artikeln aber auch bei Bank- oder Versicherungsprodukten in der Regel durch einen längeren Entscheidungsprozess geprägt und nur ein Bruchteil davon wird durch Web-Analytics gemessen. Um diesen komplexen Customer Journey Prozess besser zu verstehen, benötigt es einen Mix aus mehreren Methoden. Im Rahmen von Workshops wird die Customer Journey gemeinsam mit Produktmanagern, Sales- oder Marketing-Verantwortlichen und Entwicklern entwickelt. Diese Journey-Map wird im Anschluss anhand von Onsite– oder Panelumfragen verifiziert, um konkrete Zahlen über Dauer, Wettbewerber, etc. zu erhalten. Zum Abschluss werden im Rahmen von persönlichen Tiefeninterviews konkrete Nutzer interviewt, um mehr über Motive und Hintergründe zu erfahren und hinter die Zahlen zu schauen.
  • Ein weitere Einsatz ist die Erstellung von Personas. Hier wird ebenfalls durch eine Onsite- oder Panelumfrage untersucht, wer die Nutzer sind und wie diese sich hinsichtlich Nutzung, Geräteeinsatz, Surfverhalten, etc. unterscheiden. Abgerundet wird dies ebenfalls durch Tiefeninterviews, um die Personas mit Leben zu füllen. Wie dies konkret aussehen kann, zeigen Ihnen unsere Deutschland-Personas, welche im Rahmen eines Forschungsbeitrags entwickelt wurden.

Konzepte und Ideen entwickeln und bewerten

Kennen Sie das Problem und verstehen Ihre Nutzer besser, können Ideen und Ansätze entwickelt und ausprobiert werden. Der Ideenfindungsprozess ist ein sehr kreativer Prozess und demnach traditionell durch qualitative Methoden gekennzeichnet (z. B. Konzeptions-Workshops, offenes Card Sorting, Fokusgruppe, etc.).

Aber auch hier können quantitative Methoden helfen, Ideen zu gewichten bzw. zu bewerten und so die bestmögliche Lösung in die Umsetzung zu bringen.

• Auf ein offenes Card Sorting empfiehlt sich aus unseren Augen immer ein geschlossenen Card Sorting anzuschließen (auch Reverse Card Sorting genannt), um z. B. verschiedene Navigationslösungen zu betrachten. Die perfekte Navigation für alle Nutzer kann es nicht geben, deshalb ist es wichtig, valide Ergebnisse für die jeweiligen Zielgruppen zu haben. Dies kann z. B. durch eine Panelumfrage realisiert werden, in welches das geschlossene Card Sorting integriert ist.

• Aber auch erste Konzepte lassen sich quantitativ evaluieren. Durch z. B. Produktvideos können auch nicht komplett ausgearbeitete Konzepte oder Produkte einem größeren Publikum vorgestellt werden. Bei komplexen Zielgruppen (z. B. Ärzte, Anwälte, etc.) oder einer großen Anzahl an Zielgruppen ist es preislich sogar günstiger diese mittels Online-Panel zu rekrutieren als diverse Fokusgruppen – die dann im Falle von B2B-Zielgruppen häufig nur in den späten Nachmittagsstunden stattfinden können. Wird es zusätzlich noch international, können sich solche Projekte über Wochen hinziehen.

• Noch einfacher ist es, im Anschluss von qualitativen Erhebungen oder Fokusgruppen, die Teilnehmer zu einer kurzen Umfrage einzuladen, um das offene Feedback noch durch Skalen zu erweitern. Beispielsweise kann dies direkt vor Ort durch Tablets realisiert werden oder Probanden bekommen einen Umfragelink per E-Mail zugeschickt. Welche möglichen Instrumente oder Fragebögen eingesetzt werden können, zeigt ihnen der Forschungsbeitrag meiner Kollegin Melanie Jotz.

Markt und Lösungen konstant beobachten

Ist das System aktualisiert, hört die Arbeit nicht auf, denn der Markt entwickelt sich weiter und bedarf einem regelmäßigen Monitoring. Hier kann auf User Experience optimierte Instrumente zurückgegriffen werden, um in Längsschnitt die Entwicklung der Usability zu betrachten. Wie zu Beginn erwähnt, ist es dabei immens wichtig, die nackten Zahlen und Fakten richtig zu interpretieren und durch Expertengutachten oder kleine, aber dafür regelmäßige Usability-Tests oder Fokusgruppen zu erweitern, um die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Nun interessiert mich ihre Erfahrungen und Meinung zu dem Mixed Method-Ansatz. Kombinieren Sie bei sich im Unternehmen quantitative und qualitative Methoden oder bekommt einer der beiden Methoden den Vorzug? Wenn ja, woran liegt das in ihren Augen?

Portraitfoto: Ediz Kiratli

Ediz Kiratli

Referent Usability

VBG

Bisher veröffentlichte Beiträge: 1

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert