Tagebuchstudie 2.0 – WhatsApp als Allroundertool

Eine Person tippt sitz auf das Smartphone in ihren Händen.

Das Ziel: Mehr über die Nutzer einer Lifestyle-App zu erfahren.
Der Anspruch: Über zwei Wochen jede Nutzung der App so genau wie möglich mitzuverfolgen.
Die Methode: Eine Tagebuchstudie – über WhatsApp!

Es gibt viele Methoden, seine Nutzer besser kennen zu lernen. Doch Methoden wie Fragebögen oder Interviews sind nur Momentaufnahmen des Nutzers. Andere Methoden mit mehreren Erhebungszeitpunkten bieten den Mehrwert, dass man den Nutzer über einen bestimmten Zeitraum hinweg testen kann. Doch auch hier kann es sein, dass man beispielsweise genau die Momente verpasst, in denen der Nutzer erhebliche Probleme mit dem Produkt hat.

Die Methodik der Wahl, um so nah wie möglich dabei zu sein: Die Tagebuchstudie

Um dem Nutzer bei der Interaktion mit einem Produkt so dicht wie möglich zu folgen, bietet sich die Methode der Tagebuchstudie an. Dabei bekommt der Nutzer über einen längeren Zeitraum hinweg verschiedenes Material bereitgestellt, mit dem er seine Erfahrungen mit dem Produkt dokumentieren kann. Das kann ein traditionelles Papier-Tagebuch, ein Tablet, eine Kamera, ein Diktiergerät oder auch der Zugang zu einer Web-Plattform oder einer Software sein. Die Einträge werden idealerweise vom Nutzer genau dann gemacht, wenn er sich mit dem Produkt beschäftigt. Dabei hat der Nutzer maximale Flexibilität, wann er seine Erfahrungen dokumentiert. Diese Dokumentation ist dann eine Momentaufnahme der Nutzung – nicht nur eine Erinnerung daran, wie es bei nachträglichen Fragebögen der Fall wäre. Der Studienleiter kann den Nutzer zusätzlich durch persönliche Nachrichten motivieren oder spezifische Fragen stellen, die bei der nächsten Nutzung beachtet werden sollen.
Ein schönes Erklärvideo zur Methodik der Tagebuchstudie gibt es hier:

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Der Nachteil: hoher finanzieller und organisatorischer Aufwand

Trotz der vielen validen Einblicke in die Nutzung, hat diese Methodik einen erheblichen Nachteil. Sie ist in der Vor- und Nachbereitung sowie durch die Anschaffungskosten sehr aufwendig. In der Vorbereitung müssen Bücher, Kameras oder Diktiergerät angeschafft und versandt werden. Im Falle einer internetbasierten Methode muss die Plattform (beispielsweise wordpress oder dscout) eingerichtet werden oder eine Software (z. B. Revelation) käuflich erworben werden. In der Nachbereitung müssen alle Materialien wieder zurückgeschickt werden und die z. T. auf verschiedenen Medien verteilten Ergebnisse zusammengefasst werden.

WhatsApp – das moderne Tagebuch?

Abbildung 1: Eine Tagebuchstudie mit WhatsApp.

Eine sehr neue und bisher kaum erforschte Alternative ist die Dokumentation einer Tagebuchstudie über WhatsApp. Die kostenfreie App ist mit 1,5 Milliarden Nutzern weltweit die bekannteste und meist genutzte Kommunikationsapp.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Es muss nichts programmiert, verschickt oder angeschafft werden. Zudem sind die allermeisten Studienteilnehmer mit der Nutzung von WhatsApp vertraut und haben – im Gegensatz zu einem neuen Tool – kaum Berührungsängste oder Verständnisfragen zur Nutzung. Der Studienleiter kann die einzelnen Reminder und Fragestellungen bequem über die Web-Applikation verschicken und dafür die „Broadcast-Listen“, ein vorinstalliertes Feature, nutzen. Mit diesem ist es möglich, Nachrichten in die Gruppe der Studienteilnehmer zu posten, die diese dann als private Nachricht empfangen. Sie sehen weder, welche anderen Teilnehmer es gibt, noch, was diese an den Studienleiter schreiben. Dies erleichtert die Organisation erheblich und darüber hinaus sind eine persönliche Ansprache, direkte Rückfragen und eine individuelle Betreuung gut möglich.
Ein weiterer großer Vorteil: WhatsApp vereint Tagebuch, Kamera und Diktiergerät in einem! So haben die Teilnehmer eine breite Palette an Möglichkeiten, um ihr Feedback einzureichen und müssen dafür nicht einmal das Device wechseln.
WhatsApp steht dabei als Beispiel für jede andere Kommunikations-App, die es auf dem Markt gibt. Da WhatsApp bzgl. Datenschutz zum Teil in der Kritik steht, haben sich viele weitere Apps etabliert, die auch kostenlos im App-Store heruntergeladen werden können. Vor der Verwendung sollte also eine Abstimmung der Datenschutzrichtlinien des Unternehmens und der jeweiligen Apps erfolgen.
Bei der Verwendung einer App für die Tagebuchstudie besteht ein klarer Nachteil darin, dass es keine Unterstützung für die Auswertung gibt (wie es bei speziellen Tagebuchstudien-Tools der Fall wäre). Andere Nachteile sind jedoch auf den ersten Blick nicht zu erkennen.

Pionierarbeit: Durchführung der ersten WhatsApp-Tagebuchstudie

Deshalb wuchs der Plan, eine Tagebuchstudie über die Nutzung einer Lifestyle-App durchzuführen, und die WhatsApp-Tagebuch-Methodik auszuprobieren und so – learning by doing – die Tauglichkeit dieser Methodik zu evaluieren.
Im Folgenden wird nun das Ziel, der Aufbau und die Durchführung meiner Tagebuch-Studie erläutert.
Im zweiten Teil werde ich über meine Learnings mit der WhatsApp-Tagebuch-Methode berichten. Bleiben die Teilnehmer über 14 Tage motiviert, Feedback zu geben, wenn sie WhatsApp verwenden können? Oder birgt diese Methodik bisher nicht absehbare Unwägbarkeiten?

Der Aufbau der Studie

Das Testprodukt: MirrorMe, eine Lifestyle-App, bei der man durch tägliche Eingaben zu verschiedensten Lebensbereichen (Ernährung, soziales Umfeld, Arbeit, …) den Blick für körperliches, geistiges und soziales Wohlergehen im Alltag schärfen soll.

Ziel der Studie: Den Nutzungskontext und die Nutzer selbst besser kennenlernen: Wann und wo wird die App genutzt? Wie gut kann die tägliche Bearbeitung in den Alltag integriert werden? Ab wann wird die Nutzung anstrengend, langweilig oder interessant? Wie bewerten die Nutzer die Usability der App? Für wie sinnvoll und nützlich empfinden die Nutzer eine solche Lifestyle-App?

Der Versuchsaufbau: Fünf Teilnehmer werden in eine WhatsApp-Broadcast-Liste aufgenommen und bekommen über einen Zeitraum von zwei Wochen täglich um 17:00 Uhr Fragen zur Nutzung, Bedienung und der subjektiven Einschätzung der App. Die Uhrzeit ist so gewählt, dass die Teilnehmer zu diesem Zeitpunkt schon einen Großteil ihres Tages hinter sich haben, aber noch nicht durch die Nachricht im Schlaf oder beim Abendessen gestört werden. Die Teilnehmer nutzen die App zu einem beliebigen Zeitpunkt und schreiben ihre Antworten dann per WhatsApp an die Studienleiterin. Sie werden darauf hingewiesen, dass sie auch Screenshots oder Bilder schicken können, um Geschriebenes zu verdeutlichen.
Im Vorfeld werden die verschiedenen Nachrichten vorformuliert, um sie so standardisiert zu halten.

  • Tag 1 ist ein Begrüßungstext, der das Ziel und die „Spielregeln“ der Studie nochmals erklärt. Außerdem werden die Teilnehmer dazu aufgefordert, die MirrorMe herunterzuladen und die ersten Einträge zu machen. Abgefragt wird hier der erste Eindruck, ihre Erwartungshaltung und ob Schwierigkeiten beim Einrichten der App auftraten.
  • Tag 2 bis 6 und Tag 8 bis 13 erinnert ein immer gleich formulierter Reminder an die Nutzung von MirrorMe. Zusätzlich wird in vier kurzen Fragen abgefragt, wann, wo und in welcher emotionalen Verfassung die Teilnehmer die App genutzt haben, wie es ihnen bei der Selbsteinschätzung erging und ob Probleme jedweder Art aufgetreten sind.
  • Tag 7 enthält eine Zwischenevaluation, in der die Fragen auf die Nutzung in der vergangenen Woche abzielen. Es wird abgefragt, inwiefern die Nutzung von MirrorMe in den Alltag integriert werden konnte und ob es etwaige Änderungen in der Einstellung gegenüber der App gab. Außerdem wird nach positiven und negativen Erfahrungen während der Nutzung und nach noch andauernde Verständnis- oder Bedienprobleme gefragt.
  • Tag 14 wird schließlich die Abschlussevaluation verschickt. Dieser zielt darauf ab, ob Erwartungen erfüllt wurden, ob die Teilnehmer MirrorMe weiterempfehlen würden, ob bestimmte Dinge oder Lebensbereiche in der Abfrage vernachlässigt wurden und wie sie die Beantwortung der Fragen über Whatsapp empfanden.

Im zweiten Teil erfahren Sie mehr über die die positiven und negativen Erfahrungen mit der WhatsApp-Tagebuch-Methode.

2 Kommentare

  • Jan

    Wie sieht es bei der Nutzung von Whatsapp mit Datenschutz und DSGVO aus? Ich wäre zögerlich, aber auch eher aus Unsicherheit als aus gesicherter Erkenntnis.

    • Dorothee

      Hallo Jan,

      du hast recht, dass Whatsapp da ziemlich schlecht abschneidet. So lange Probanden mit ihrem Privathandy daran teilnehmen, ist es deren Entscheidung, aber sobald Diensthandys im Spiel sind, wird es kritisch. Denn Whatsapp liest beispielsweise das gesamte Adressbuch nach möglichen Whatsapp-Kontakten aus, was seitens DSGVO nicht zulässig ist.

      Hier in der Studie wurde Whatsapp beispielhaft für die vielen Alternativ-Apps genutzt, um das Format erst einmal zu testen.
      Ich würde aber auch empfehlen die verwendete App mit dem Kunden und dessen Richtlinien abzustimmen, um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein.
      Die FAZ hat neulich einen schönen Artikel veröffentlicht, in der die einzelnen Apps in Bezug auf die DSGVO-Richtlinien geprüft werden. Beispielsweise werden Threema und Hoccer dort als DSGVO konform bewertet und könnten eine gute (und rechtlich sicherere) Alternative zu Whatsapp darstellen.
      http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/diginomics/kein-whatsapp-zulaessige-messenger-auf-diensthandys-15626161.html

      Ich hoffe, ich konnte weiterhelfen.
      Viele Grüße

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