UX? Design? – Wenn Berufsgrenzen verschwimmen

Mehrere Ruderbote mit Insassen bei einem Wettbewerb.

Den Beruf „UX Designer“ zu beschreiben, fällt nicht leicht. Eine große Bandbreite an Skills und Tools gespickt mit immer wiederkehrenden Buzzwords begegnen einem. Selbstdefinition und Fremdwahrnehmung prallen in Stellenbeschreibungen immer noch wenig glücklich aufeinander.
Dieser Artikel beleuchtet die Rolle des UX Designers aus Sicht dreier Berufsverbände.


Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. (Bitkom)

Bitkom, der Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche, bezeichnet sich auch als „Digitalverband Deutschlands“. Er „vertritt mehr als 2.600 Unternehmen der digitalen Wirtschaft“, unter ihnen Mittelständler, Startups und Global Player. Der Verband setzt sich insbesondere für eine innovative Wirtschaftspolitik, eine Modernisierung des Bildungssystems und eine zukunftsorientierte Netzpolitik ein – beispielsweise aktuell dem Ausbau digitaler Infrastrukturen und der breiten Digitalisierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Verwaltung, Bildung und Arbeit sowie Datenschutz und Sicherheit.

Digital Designer: Ein neues Berufsbild mit ganzheitlicher Gestaltungskompetenz

Im kürzlich veröffentlichten „Digital Design Manifest“ wird die Notwendigkeit formuliert, „ein eigenständiges Berufsbild – Digital Designer“ zu etablieren und zu einer Profession zu machen.

Ein Auszug aus den Details zum Manifest:

„Der Unterschied zu bisherigen Ansätzen ist die gleichzeitige und ganzheitliche Betrachtung aller Komponenten und ihrer Ausgestaltung. So wie sich ein Architekt neben dem eigentlichen Grundriss eines Gebäudes auch Gedanken um Materialität, Umfeld und Wirtschaftlichkeit machen muss, wird sich ein Digital Designer die gleichen Gedanken zu seinem Produkt machen. Das bedeutet, dass eben nicht nur Software und das dazugehörige Interface-Design, sondern eben auch das Produktdesign und Aspekte wie Wirtschaftlichkeit, Psychologie, Kognitionswissenschaften, Sozialwissenschaften, Arbeitswissenschaften, Ergonomie, Marketing und Kommunikationsdesign und viele andere zumindest soweit verstanden und berücksichtigt sind, dass im Zweifel entsprechende Expertise zielführend eingesetzt werden kann.“

Etwas mehr zum Mindset und dem Verständnis des Begriffs „Design“ wird im Hauptteil des Manifests deutlich:

„Das Bauhaus ist unser Vorbild, es hat zu Zeiten der Industrialisierung das Kunsthandwerk als verbindendes Element und Erfolgsfaktor etabliert und wollte die Unterscheidung zwischen den einzelnen Disziplinen aufheben, um so mehr Wirkung zu entfalten. Architektur im Bauwesen und Industriedesign haben sich als eigenständige und selbstbewusste Gestaltungsprofessionen emanzipiert. Genauso brauchen wir eine eigenständige und selbstbewusste Gestaltungsprofession für die Digitalisierung, mit einem klaren Berufsbild, definierten Verantwortlichkeiten und einer akademischen Kultur.
Diese Gestaltungsprofession soll Digital Design genannt werden.
Digital Designer verstehen Digitalisierung als gestaltbares Material und durchdenken die Möglichkeiten und Potenziale der Technologie in Kombination mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und den aktuellen oder zukünftigen Erfordernissen und Bedürfnissen der Menschen.

    Digital Designer gestalten und optimieren
    Ziel, Nutzen und Mittel im Zusammenspiel,
    im Großen wie im Kleinen,
    Sichtbares und Verborgenes,
    Materielles und Immaterielles,
    und sie gestalten und optimieren auch den Gestaltungsprozess.

Aus dieser Gestaltungsperspektive heraus führen sie den Entstehungsprozess und übernehmen Verantwortung für das Endergebnis. Nur so können sinnvolle und nachhaltige Ergebnisse entstehen.“

Zusammengefasst:

Es fällt auf, dass dem Digital Designer der Bitkom Fähigkeiten zugeschrieben werden, die auch unter UX Designern und Professionals zu finden sind. Im Manifest wird ein sehr deutlicher Schritt in Richtung menschzentrierter Gestaltung formuliert. Mit dem eher technischen Background ist dies sicherlich ein guter und spannender Schritt. Wie dieser Beruf sich in der Praxis entwickelt, bleibt zu beobachten.
Mehr zum Bitkom auf deren Webseite.

German UPA e.V.

Die German User Experience Professionals Association (German UPA) e.V. ist in Deutschland die größte Vertretung für Fachkräfte aus dem Bereich User Experience und Software-Ergonomie (Usability).

Der German UPA e.V. überarbeitet derzeit das Berufsbild. Aktuell (Oktober 2018) definiert sie die Tätigkeit seiner Mitglieder folgendermaßen:

„Ein Usability/UX Professional ist eine Person, die qualifiziert und methodisch die Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit (Usability) interaktiver Systeme (Hardware und Software) herleitet, umsetzt oder deren Umsetzung überprüft.“

Differenziert wird die Tätigkeit durch Schwerpunkte in den Bereichen

  • Analyse – Erhebung von Nutzungskontexten, Herleitung von Nutzungsanforderungen
  • Gestaltung – Konzeption der Interaktion zwischen Mensch und System, Strukturierung und Darstellung handlungsleitender Informationen
  • Prüfung & Bewertung – Inspektion von interaktiven Systemen und Usability-Tests mit Nutzern
  • Prozessgestaltung und Methodeneinsatz – Festlegen, Einführen und Betreiben eines benutzerorientierten Entwicklungsprozesses

Branchenreport 2018

Der jährliche Branchenbericht bietet guten Einblick in die Arbeitswelt seiner 1419 Mitglieder. Dieses Jahr nahmen 330 Personen an der Umfrage teil.

Von den akademischen Abschlüssen ist das am häufigsten genannte Studienfach Psychologie (14 %) darauf folgen Medieninformatik (11 %) und Informatik (8 %). 17 % gaben einen Studiengang an, der nicht unter den vorgegebenen Optionen vertreten war – darunter finden sich sowohl Studiengänge aus Design-Disziplinen als auch aus Ingenieursberufen.

Von denjenigen, die an der Umfrage teilgenommen haben und eine Zusatzausbildung abgeschlossen haben, tragen über 50 % die Titel „Certified Professional for Usability and User Experience“, „Usability Engineer“, „Usability Consultant“ und „UX & Usability Expert“.

Beratung und Stakeholder Management sind Hauptschwerpunkte

UX Professionals arbeiten offensichtlich an Schnittstellen: An erster Stelle der Aufgabenschwerpunkte im Beruf nannten die Teilnehmer nicht UX Design (50 %), sondern direkt davor mit 67 % Beratung und Stakeholder Management.

Verständnis zu schaffen, zu vermitteln und Impulse zu geben ist eine der wichtigsten Aufgaben.

Bei den Selbständigen zeichnet sich etwas Ähnliches als Herausforderung ab: 57 % der Teilnehmer nannten als größte Herausforderung bei der Entwicklung eines eigenen Unternehmens, Auftraggeber die Relevanz von UX- und Usability-Maßnahmen zu vermitteln.

Zusammengefasst:

Die UX Professionals der German UPA kommen zwar aus diversen Fachrichtungen, haben aber einen deutlichen fachlichen Schwerpunkt bei Psychologie und (Medien-)Informatik. Ihrer Definition nach ist die Gestaltung ein möglicher Schwerpunkt von insgesamt vier. Essentiell ist, dass die German UPA sich auf einen internationalen, normierten Standard als Qualitätsziel bezieht, nämlich die ISO Normen 9241, die „internationalen Normen zur Gebrauchstauglichkeit interaktiver Systeme und deren Gestaltungsprozess“.

Der komplette Branchenreport ist auf den Seiten des German UPA zu finden.
Auf das Manifest der Bitkom hat die German UPA reagiert und ein vorläufiges Positionspapier mit dem Titel „Das Digital Design Manifest trifft den Nagel auf den Kopf“ veröffentlicht.

Bleibt zuletzt noch ein Berufsverband, dem das Bauhaus sicherlich auch schon sehr lang ein großes Vorbild ist.

AGD – Allianz Deutscher Designer e.V.

Die klassischen Designer hatten schon vor der Existenz digitaler Medien damit zu kämpfen, dass ihnen keine Problemlösungskompetenz zugesprochen wurde. Die Ansicht, dass Designer nur dekorative, oberflächliche Arbeiten ausführen, hält sich noch immer sehr hartnäckig.

Die AGD rückt die Designer weg vom Klischee des eigenbrödlerischen Künstlers, der lieber sich selbst verwirklicht als bezahlt zu werden. Der Designer schlüpfe in die Rolle eines Moderators und Beraters, der „sich jedoch auch in eigener Analyse- und Recherchearbeit auf seinen Auftraggeber, dessen Unternehmung, seine Kunden- und Zielgruppen einstellt“.
Die Leistungen von Designern werden stärker in einem wirtschaftlichen Kontext „in die Wertschöpfung seines Auftraggebers“ gestellt.

„Ausweitung der Designzone“ hin zu menschzentrierter Gestaltung

Durch technologische, ökologische und gesellschaftliche Veränderungen finde ein Wandel der Designwirtschaft statt. Der seit 1976 existierende Verband stellt dadurch eine „Ausweitung der Designzone“ fest.
Die AGD definiert hierfür eine Disziplin, deren Name bekannt klingt: „Digital Media Design“.
Eine menschzentrierte Haltung lässt sich sehr deutlich ablesen: „Die unendlichen technologischen Möglichkeiten sollten hierbei so genutzt werden, dass die Technologien dem Menschen dienen und nicht umgekehrt.“ „Längst ist es hierbei nicht mehr damit getan, allein die Nutzeroberfläche gut aussehen zu lassen. Denn Interfacegestaltung, Benutzerführung und Navigation erlangen immer größere Bedeutung – und stellen damit Anforderungen an die Gestaltung der Mensch-Maschine-Beziehung.“

Als Qualitätsziel digitaler Anwendungen wird u. a. „Joy of Use“ genannt. Ein Begriff, der bereits aus der User Experience bekannt ist.

Der Designprozess des AGD © AGD/Markus Büsges

Der dazu visualisierte Designprozess ähnelt dem menschzentrierten Gestaltungsprozess oder einem Design Thinking Prozess.

Zusammengefasst:

Der Verband der Designer reagiert auf die zunehmende Arbeit an komplexen, digitalen Anwendungen mit einer Orientierung hin zu menschzentriertem Denken und Prozessen, die aus dem UX Design bekannt sind. Das Digital Media Design wird sehr klar vom „Grafikdesign“ abgegrenzt, welches „sich aus künstlerischen und gestalterischen Grundtechniken entwickelt“ hat. Als Besonderheit nennt die AGD „die schöpferische Leistung (der Entwurf, der Prototyp)“ als „das Kernstück der Arbeit eines Designers. Soll sie ihr Potenzial voll entfalten, muss der Designer in den anderen Phasen genauso sorgfältig, umsichtig und in jedem Sinne des Wortes kreativ agieren.“

Das Produkt als Ziel, Menschen im Mittelpunkt

German UPA und Bitkom stehen in engem Austausch über die von ihnen definierten Berufsbilder. Ob die drei Verbände vielleicht sogar gemeinsam die Rolle des „UX Designers“ weiter definieren, ist offen.
Was aber klar hervorgeht:

Arbeiten zwischen Mensch, Maschine und Business fordert gestalterisches, interdisziplinäres lösungsorientiertes Denken. Jeder, der an einem digitalen Produkt arbeitet, das Nutzer hat, gestaltet die User Experience mit. In welchem Ausmaß und zu welchem Zeitpunkt, das bestimmen „handwerkliche“ Fähigkeiten.

Jared Spool zählt dazu folgende Skills, die einen guten UX Designer ausmachen: user research, interaction design, information architecture, visual design, copywriting/content strategy, design process management, information design,and editing/curation.

Jasper Stephenson
hat in seinem Artikel „The spectrum of Design Roles“ sehr schön visuell dargestellt, wo er im digitalen Projektentwicklungsprozess die gestaltenden Disziplinen verortet. Hier sind auch Frontend-Developer eingeschlossen.

Wichtig davon sind alle. Wenn dir nicht klar ist, wo du dich genau befindest oder dir egal ist, was auf deiner Visitenkarte steht, hilft es auf alle Fälle, sich an folgendes zu halten:

  • Denk an die Nutzer und gleichzeitig an die Produktziele.
  • Vertraue auf Spezialisten, begegne anderen auf Augenhöhe.
  • Bilde dich weiter, lern von anderen und schau über deinen Tellerrand.

Weitere Tipps zur Arbeit als UX Designer:
Wie man kontinuierlich Nutzerfeedback in agile Prozesse einbinden kann, haben wir in diesem Artikel festgehalten.

Ein Kommentar

  • Dankeschön, sehr treffend und kurz und knapp zusammengefasst was im Kontext UX und Usability Gestaltung wichtig ist und gerade diskutiert wird. Egal wie man nun die beruflichen Rollen bezeichnen möchte – auf ‚U‘ sollte Wert gelegt werden…

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