Customer Journey Map – Herzstück vieler UX-Methoden?

Ein Mann sortiert beschriebene Karten auf einem Tisch

Die Customer Journey Map (in der Software-Entwicklung oft auch User Story Mapping genannt) ist eine viel zitierte Methode, gerade im Zusammenhang mit der Konzeption bestehender oder auch neuer Produkte. Im Netz finden sich hierzu auch zahlreiche Beschreibungen und Templates für die Erstellung einer solchen Map.

Leider wird diese Methode oft auch als sehr aufwändige und kostspielige Methode angesehen, sind bei ihrer Erstellung nicht unwesentlich viele Teammitglieder gefragt und zahlreiche Schritte notwendig. Dieser Aufwand lohnt sich mehrfach, wenn die erstellte Customer Journey Map im Unternehmen auch “gelebt” und im Zuge der Produktentwicklung kontinuierlich und zielgerichtet eingesetzt wird.

Zielsetzung einer Customer Journey Map

Eine Customer Journey Map fasst das Kundenerlebnis vom ersten Kontakt zum Produkt oder einer Dienstleistung, über den gesamten Produkt-Nutzungsprozess bis hin zu einer dauerhaften Produktnutzung zusammen. Ziel dieses Vorgehens ist es, die wesentlichen Touchpoints der Benutzer zu identifizieren und für jeden Touchpoint weitere Aspekte zu beleuchten. Hierzu gehören beispielsweise die zum jeweiligen Zeitpunkt relevanten Daten & benötigten Informationen sowie unbewusste Bedürfnisse und Erwartungen oder auch Enttäuschungen während der Produktnutzung.

Nicht erfüllte Erwartungen oder sogar Enttäuschungen stellen „Brüche“ (Gap) in der Customer Journey dar und bieten Potential für die zu entwickelnde oder optimierende Anwendung, die gerade an diesen Stellen Services & Funktionen anbieten kann. Ebenso können Bedürfnisse entdeckt werden, die den Nutzern selbst nicht bewusst sind und daher nicht direkt geäußert werden.

Sie können also nicht nur Probleme identifizieren & die UX verbessern. Vielmehr gilt es, auf Basis der Customer Journey Map Chancen zu erkennen & neue Produktideen zu generieren.

Einen guten Überblick darüber, was bei einer solchen Customer Journey Map beachtet werden muss, bietet auch Jens Jacobsen in seinem Beitrag zu diesem Thema auf diesem Blog.

Wem müssen wir was, wann und wie anbieten?

Wesentlicher Erfolgsfaktor für eine gelungene Customer Journey Map ist das Aufstellen einer Hypothese oder zentralen Fragestellung, die es zu beantworten gilt. Diese kann sehr spezifisch sein oder sehr global die gesamte Produktnutzung betreffen: Wem müssen wir was, wann und wie anbieten? Dann geht es letztlich darum, vorliegende oder erhobene Daten über die Nutzer (wem?) und deren Nutzungsszenarien (was?) zusammenzuführen, entlang des Prozesses (wann?) zu beleuchten und eben dann wesentliche Ableitungen daraus zu treffen. Also Contents, Services oder Funktionalitäten zu identifizieren, die zum jeweiligen Zeitpunkt entlang der Produktnutzung Mehrwerte bieten (wie?).

Investieren Sie Zeit in die Erhebung der Daten im Rahmen der User Research (z. B. Personas, Nutzungsszenarien). Umso valider und umfangreicher die Daten, umso lückenloser und wertvoller wird Ihre Customer Journey Map sein und Ihnen Antworten auf Ihre Fragen geben.

Herangehensweise: Eine gute Customer Journey Map braucht Zeit und gute Daten

Den einen Weg, eine solche Map zu erstellen, gibt es aber sicherlich nicht; vielmehr hängt dies maßgeblich vom Scope des Projektes und der vorhandenen Daten ab, die in eine solche Map fließen (können).

Daher möchte ich an dieser Stelle gerne ein konkretes Beispiel zeigen, das im Rahmen des Zertifikatlehrgangs an der TH Deggendorf entstanden ist. Die Projektarbeit, die wir in Gruppenarbeit erarbeitet und bei der wir uns unter anderem mit dem Customer Journey Mapping als Methode beschäftigt haben, widmete sich der folgenden Frage:

Inwiefern kann es eine digitale Anwendung (sprich: App) geben, die einem Flugreisenden entlang seiner gesamten Reise (also über die Planung, Vorbereitung und Durchführung seiner Flugreise und angrenzender Reiseplanungen hinweg) ein treuer Begleiter sein und sinnvolle Services bieten kann. Anwendungen in diesem Sektor gibt es bereits viele; häufig beschäftigen sie sich allerdings nur mit Teilaspekten (z. B. Buchung des Fluges, Informationen zu den Flughäfen, mögliche Sights am Zielort oder bei Zwischenstopps). Eine nahtlose Anwendung, die dem Flugreisenden kontextuell immer nur das anbietet, was er in seinem jeweiligen Schritt der Reise benötigt, war kaum bis schwer zu finden.

Mit dieser Fragestellung machten wir uns an die Datensammlung, die Grundlage und Inputgeber geben sollten: Eine Online-Befragung, die sowohl Geschäfts- als auch Urlaubsreisende adressierte, zogen wir wertvolle Erkenntnisse zu den Aktivitäten, Bedürfnissen und Verhaltensmustern von Flugreisenden vor, während und nach ihrer Reise. Über ein Clusterverfahren entstanden daraus vier Personas – zwei Geschäftsreisende, zwei Urlaubsreisende.

Aufbauend auf individuelle Zielsetzungen dieser Personas (beim unten skizzierten Beispiel z. B. effizienten Kundenbesuch in China durchführen) entwickelten wir dann jeweils eigene Customer Journeys. Eine derartige Zielstellung oder auch ein konkretes Nutzungsszenario sollte Basis sein und hilft bei dem Durchspielen der einzelnen Phasen bzw. der Erarbeitung der Prozessschritte und Touchpoints.

Den Rahmen bzw. die übergreifende Struktur dieser Customer Journeys gab eine detaillierte und prozessgenaue Betrachtung der Flugreisen vor. Die einzelnen Reisephasen (vor dem Flug, Fahrt zum Flughafen, am Startflughafen, im Flugzeug, Umstieg, am Zielflughafen, Fahrt zum Zielort) bildeten das grobe Raster, die einzelnen Aktivitäten und Prozessschritte (auch Touchpoints) während dieser Reisephasen die Detailgliederung. Letzteres variierte natürlich je nach Persona bzw. Customer Journey:

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Abb 1. Customer Journey Map für Persona „Georg Kaufmann“, Geschäftsreisender – in Excel dokumentiert


Interessant kann sein, die Customer Journey Map im Nachgang auch für andere Personas durchzuspielen und im Hinblick auf deren Erwartungen & Bedürfnisse abzugleichen. Aus den Fragestellungen, ob diese Personas in den einzelnen Situationen anders agiert, gedacht oder gefühlt oder etwas anderes benötigt hätten, können sich weitere Ideen ableiten.

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Abb. 2: Impressionen aus Customer Journey Mapping-Workshop – erarbeitet mit PostIts™


Davon ausgehend definierten wir die Aspekte, die wir in jedem Prozessschritt während der Reise betrachten wollten. Folgende Dimensionen waren uns dabei wichtig:

  • Bedürfnisse und Aktivitäten: Was macht der Reisende zum jeweiligen Zeitpunkt der Reise? Welche Bedürfnisse hat er?
  • benötigte Informationen und Daten: Welche Informationen benötigt er je nach Kontext und Situation bzw. zum jeweiligen Zeitpunkt? (z. B. Nummer des Gates, Restzeit bis zum Abflug,…)
  • mögliche Ausnahmefälle, „Worst Case“-Szenarien: Gibt es unvorhersehbare, unliebsame Vorfälle während einer Flugreise, die den Ablauf unterbrechen oder stören und daher betrachtet werden müssen? (z. B. Gepäckverlust, Stornierung des Fluges, Zollkontrolle,…)
  • Erwartungen der Flugreisenden: Was erwartet der Flugreisende hinsichtlich möglicher Services, Produkt-Features & Angebote? (z. B. schneller, reibungslos ablaufender CheckIn, kurze/keine Wartezeit beim Security Check,….)
  • emotionaler Zustand des Reisenden: Wie fühlt sich der Reisende zum jeweiligen Zeitpunkt; wie ist seine Reaktion? (z. B. Vorfreude bei der Anfahrt, Frust bei langen Wartezeiten, Ärger bei Gepäckverlust,…. – angegeben auf einer Skala von -3 bis +3)

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Abb. 3: Customer Journey Map für Persona „Georg Kaufmann“, Geschäftsreisender – in Excel dokumentiert


Welche Dimensionen bzw. Kriterien betrachtet werden, hängt stark von der Fragestellung und den gesuchten Lösungsansätzen ab. Diese Dimensionen sollten im Projektteam gemeinsam definiert und können ggf. im Zuge der Arbeit mit der Customer Journey Map auch erweitert werden.

Mitunter der spannendste Punkt des Customer Journey Mappings war es dann, das Potential in Form von konkreten Funktionsanforderungen sowie Contents für den geplanten Flugreise-Begleiter zu identifizieren und aus dem Erarbeiteten abzuleiten. Dies haben wir für jede der Reisephasen dokumentiert. Als Ergebnis hatten wir damit eine klare Vorstellung davon, welche Funktionalitäten und Contents wir dem Reisenden zu den unterschiedlichen Zeitpunkten seiner Reise anbieten sollten.

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Abb 4. Ausschnitt aus den aus der Customer Journey Map abgeleiteten Funktionalitäten und Contents, pro Reisephase aufgesplittet


Mit diesem konkreten Bild vor Augen konnten sehr klare, detaillierte User Szenarien entwickelt werden. Im Zuge der Projektarbeit haben wir einen Sonderfall/“Worst Case-Szenario“ (den Verlust eines Gepäckstücks) sowie ein eher standardisiertes Szenario, das in ähnlicher Form in einigen der erarbeiteten Customer Journeys vorkam, verfasst. Diese bildeten die Basis bei der nächsten Phase, dem Prototyping einer konkreten Gestaltungslösung.

“Doing” geht vor der visuellen Aufbereitung

Wie in den Abbildungen ersichtlich, haben wir im Rahmen dieses Projektes die Customer Journey Maps in Excel digitalisiert. Die Visualisierung kann aber deutlich aufwändiger und je nach Bedarf auch graphisch ansprechender erfolgen; hier sind unzählige Beispiele und Templates im Netz zu finden.
Ausschlaggebend ist letztlich aber nicht die visuelle Aufbereitung der Customer Journey Map; vielmehr ist die eigentliche Durchführung des Workshops bzw. der gemeinsamen Erstellung der Customer Journey Map im Team ausschlaggebender. Die Diskussion und das Annähern der Ansichten der einzelnen Teammitglieder, die aus allen Disziplinen ihren Beitrag leisten sollten, ist der wahre Wert einer Customer Journey. Binden Sie daher alle relevanten Teammitglieder in die Erstellung mit ein – von Projektleitung, Konzeptern, Designer und auch Entwicklern. Die unterschiedlichen Sichtweisen bereichern die Customer Journey Maps wesentlich.

Interesse an der Methode?

Sie haben einen konkreten Anwendungsfall, bei der Ihnen diese Methode weiterhelfen könnte? Sie planen bereits, diese Methode bei sich einzusetzen und wünschen noch mehr Details? Sprechen Sie uns gerne an, wir beraten Sie gerne.

Oder haben Sie diese Methode bereits erfolgreich eingesetzt?
Lassen Sie mich und unsere Leser gern von Ihren Erfahrungen profitieren – beispielsweise per Kommentar zum Thema hier im Blog. Ich freue mich auf den weiteren Austausch mit Ihnen!

Portraitfoto: Lorena Meyer

Lorena Meyer

Senior User Experience Consultant

eresult GmbH - Standort München

Bisher veröffentlichte Beiträge: 4

8 Kommentare

  • Daccurso

    Guten Tag,

    ich habe weitere Fragen zu exakt diesem Thema und auch Szenario. Ich habe bereits die Autorin angeschrieben aber ich versuch es auch noch mal auf diesem Weg. Gibt es die Abbildung auch in groß? Mich würde sehr interessieren wie die einzelnen Abschnitte betrachtet wurden. Und gibt es eine Ausarbeitung über dieses Thema und Szenario?

    Mit freundlichem Gruß
    D’Accurso

    • Lorena Meyer

      Hallo Herr D’Accurso,
      vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich habe Ihnen eben Ihre Mail direkt beantwortet.
      Die Customer Journeys wurden im Zuge einer Abschlussarbeit im Rahmen des Zertifikatlehrgangs an der TH Deggendorf detailliert betrachtet. Sie entstanden auf Basis von Personas, die über eine Online-Befragung ermittelt wurden, definierten Nutzungsszenarien und letztlich mithilfe der Methode „Cognitive Walkthrough“. Die relevanten Dimensionen (siehe oben) wurden vorab definiert.
      Beste Grüße,
      Lorena Meyer

  • Grzeski

    Guten Tag,

    mich würden auch die Abbildungen in groß / erkennbar interessieren. Im aktuellen Format lässt sich leider überhaupt nichts erkennen. Könnten Sie mir die Abbildungen zukommen lassen?

    Beste Grüße

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  • David

    Toller Beitrag,

    leider gibt es die User Journey nicht in groß, schade.

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