Das Geheimnis attraktiver Produkte – und wie man Attraktivität messen kann

Kaffee und ein Glas Wasser auf einem Tablet

Was lässt uns als User und Konsumenten Produkte schön finden? Und wie kann man die wahrgenommene Attraktivität messen?

Marc Hassenzahl und seine Forschungskollegen haben als Antwort auf diese Fragen zwei ganz unterschiedliche Aspekte ausfindig gemacht, an Hand derer wir Produkte beurteilen, die pragmatische und die hedonische Qualität. Ein Produkt besitzt pragmatische Qualität, wenn es die Aufgabenerledigung effektiv und effizient unterstützt. Pragmatische Attribute beziehen sich damit auf Usability im eigentlichen Sinne. Die Aspekte der hedonischen Qualität gehen über die reine Nützlichkeit hinaus und sollen dem Nutzer Freude und Spaß bereiten, z.B. indem ein Produkt besonders stimulierend wirkt oder durch sein Design ein bestimmtes Image kommuniziert.

Beide Qualitäten sprechen menschliche Bedürfnisse an, die wahrgenommene pragmatische Qualität eines Produkts erfüllt Bedürfnisse nach Sicherheit, Kontrolle und Vertrauen. Die wahrgenommene hedonische Qualität erfüllt die Bedürfnisse nach Neugier und sozialem Vergleich.[1] Typische pragmatische Attribute sind: klar, unterstützend, nützlich und kontrollierbar, typische hedonische Attribute hingegen: auffallend, besonders, beeindruckend, aufregend und interessant.[2]

Aus der Beurteilung beider Qualitäten wird ein Gesamturteil der Attraktivität gebildet. Dieses Attraktivitätsurteil entspricht einer globalen Bewertung im Sinne von gut oder schlecht, anziehend oder abstoßend usw. Diese Bewertung geschieht innerhalb weniger Sekunden und ist von der Situation in der wir ein bestimmtes Produkt benutzen abhängig. Je nach dem, in welchen Situationen und mit welchen Zielen wir Dinge nutzen, wirken sich die jeweiligen Qualitäten auf das Gesamturteil aus. Die Autoren nehmen daher an, dass die Wahrnehmung eines Produktes (ob ausgeprägt pragmatisch oder hedonisch) über verschiedene Situationen stabil ist, während die globale Bewertung eher situational geschieht.[3][4]

schematische Darstellung des Modells hedonischer und pragmatischer Produktqualitäten

schematische Darstellung des Modells hedonischer und pragmatischer Produktqualitäten< [1][5]

Das ultimative Designziel sind selbstverständlich Produkte mit einer starken Ausprägung beider Qualitäten, und einem dementsprechend guten Gesamturteil der Attraktivität. Auch für Websites gilt dieses Prinzip, beim Online-Shopping zum Beispiel: Eine gute Usability macht das Einkaufen via Internet einfacher, bietet ein Online-Shop zudem eine besonders hohe hedonische Qualität, z.B. durch spezielle Funktionen und Extras, kann dies das Einkaufen genussvoller und interessanter machen.

Da die wahrgenommenen Produktqualitäten subjektive Größen sind, ist es besonders sinnvoll sie direkt vom Kunden beurteilen zu lassen, da das intendierte Designziel nicht dem tatsächlichen Eindruck der User entsprechen muss.

Der Fragebogen AttrakDiff 2, entwickelt von der Forschergruppe um Marc Hassenzahl erfragt die unterschiedlichen Produktqualitäten und das Gesamturteil der Attraktivität (als Ergebnis der Bewertung der zwei Qualitäten) mit insgesamt 28 Einzelfragen. AttrakDiff 2 ist damit ein Instrument, das die Attraktivität interaktiver Produkte umfassend und in standardisierter Form zu messen versucht. Der Fragebogen ist über die Seite www.attrakdiff.de zum kostenlosen Gebrauch angeboten.[3][7]

Besonderen Wert wird auf die differenzierte Erfassung der hedonischen Qualität gelegt. Studien zeigten eine Zweiteilung in die Dimensionen Stimulation und Identität. Wie oben bereits erwähnt, haben Menschen eine natürliche Neugier und damit ein Bedürfnis nach Neuem und nach Abwechslung. Wir brauchen und wollen einen gewissen, optimalen Grad der Stimulation, nicht überstimulativ, nicht monoton, sondern angepasst an die jeweilige Aktivität. Auf diesem optimalen Level der Stimulation ist unser Leistungsvermögen am besten. Die hedonische Dimension Identität bezieht sich auf die soziale Dimension der Computernutzung. Menschen bringen durch Dinge, die sie nutzen ihr Selbst zum Ausdruck. Wir wollen von Anderen in einer speziellen Weise wahrgenommen werden, Produkte können dies unterstützen und die gewünschte Identität kommunizieren. Hier geht es also um die Identifikation mit dem Produkt und welches Image es an unsere Mitmenschen transportiert.[6]
AttrakDiff 2 arbeitet mit der Methode des semantischen Differentials, d.h. jede Frage besteht aus einem gegensätzlichen Adjektivpaar mit sieben Abstufungen zwischen den Wörtern (s. Abbildung).

Beispiel für das Fragenformat des AttrakDiff (semantisches Differential)

Beispiel für das Fragenformat des AttrakDiff (semantisches Differential)[7]

Die Entwicklung dieses Instrumentes erfolgte nach hohen wissenschaftlichen Maßstäben. Die Fragen zur Messung der Attraktivität stammen aus AttrakDiff 1, dem Vorgängermodell des AttrakDiff 2. Alle anderen Wortpaare wurden in einem Expertenworkshop entwickelt und in einer Pilotstudie empirisch getestet, so dass als Ergebnis das vorliegende Instrument entstand. Da der Fragebogen eher allgemein für die Evaluation interaktiver Produkte konzipiert worden ist und daher auf eine Vielzahl unterschiedlicher Dinge und eine große Produktpalette angewendet werden kann, ist er vielseitig einsetzbar, allerdings ergeben sich daraus auch Probleme bei der Anwendung im Bereich des Internets. Die Bewertung einzelner Fragen gestaltet sich bei der Evaluierung von Websites schwierig, so ist das Attribut menschlich (menschlich – technisch) nur schwer auf die Mensch-Computer-Interaktion beziehbar, da die Interaktion am Computer per se, ihrer Natur entsprechend, von der Menschlichen abweicht. Ähnliche Probleme sind auch bei dem Wortpaar harmlos – herausfordernd zu erkennen, wie eine Seite beschaffen sein muss, um harmlos oder besonders herausfordernd zu sein, ist schwer zu beantworten und eine Einschätzung dieser Kategorien schwierig. Weitere Beispiele sind isolierend – verbindend und trennt mich von Leuten – bringt mich näher. Für Foren und andere Anwendungen im Bereich der sozialen Netzwerke mögen diese Fragen passend sein, für viele Internetauftritte sind sie jedoch nur schwer einzuschätzen und zudem wenig relevant.
Kritiker des AttrakDiff merken an, dass das Instrument seinen Fokus zu sehr auf die Erhebung der hedonischen Qualitäten legt und die Usability, mit nur sieben Fragen zu kurz kommt.[8] Ein umfassender Gesamteindruck sollte alle Produkteigenschaften gleichermaßen berücksichtigen.

Als Ergebnis der Evaluation mit AttrakDiff entsteht ein eigenes Profil für jedes Produkt

Als Ergebnis der Evaluation mit AttrakDiff entsteht ein eigenes Profil für jedes Produkt (hier im Vergleich: Webseiten von Milka und Kinder; PQ=pragmatische Qualität, HQ-I=hedonische Qualität – Identität, HQ-S=hedonische Qualität – Stimulation, ATT=Gesamturteil der Attraktivität)[7]

Laut den vorgestellten Annahmen zeichnen sich attraktive Produkte durch pragmatische und hedonische Eigenschaften aus und ebenso sollten sich auch Websites präsentieren, um als schön und angenehm wahrgenommen zu werden. Der AttrakDiff 2 ist ein Beispiel wie die Attraktivität von Produkten standardisiert – und damit zeit- und kostensparend – erfasst werden kann. Es handelt sich um einen kurzen, validen und genauen Fragebogen zur Messung der User Experience mit interaktiven Produkten. Für die Messung der Attraktivität von Websites ist er aber eher ungeeignet, da problematische Fragen verwendet werden. Für die spezifischen Belange von Internetseiten ist AttrakDiff zu ungenau, was auch daran liegt, dass er allgemein für interaktive Produkte und damit für eine Vielzahl unterschiedlicher Produkte entwickelt wurde.

Wie beurteilen Sie die Teilung in hedonische und pragmatische Qualitätsaspekte? Gibt es Ihrer Meinung noch andere Dimensionen, die mit der Attraktivität von Produkten zusammenhängen könnten? Haben Sie vielleicht vorher schon etwas von dem Erhebungsinstrument AttrakDiff gehört oder ihn sogar selbst ausprobiert? Über ihr Feedback zu diesem Thema würden wir uns sehr freuen.

Quellen & weiterführende Links

  • [1] Burmester, Michael; Hassenzahl, Marc; Koller, Franz (2002): Usability ist nicht alles – Wege zu attraktiven Produkten. In: Ziegler, J. et al. (Hrsg.): I-Com Zeitschrift für interaktive und kooperative Medien, 1/2002, S. 32-40.
    Online verfügbar:
    www.uni-landau.de/hassenzahl/pdfs/Usability ist nicht alles – I-Com 1 2002.pdf
  • [2] Hassenzahl, Marc (2003): The Thing and I: Understanding the relationship between User and a product. In: Blythe, Mark A.; Monk, Andrew F.; Overbeeke, Kees & Peter C. Wright (Hrsg.): Funology: From Usability to Enjoyment. Dordrecht: Kluwer Academic Press, S. 31-42.
  • [3] Hassenzahl, Marc; Burmester, Michael; Koller, Franz (2003): AttrakDiff: ein
    Fragebogen zur Messung wahrgenommener hedonischer und pragmatischer Qualität. In: G. Szwillus, J. Ziegler (Hrsg.): Mensch & Computer 2003: Interaktion in Bewegung. Stuttgart: B. G. Teubner, S. 187-196.
  • [4] Hassenzahl, Marc; Kekez, Robert ; Burmester, Michael (2002): The importance of a software’s pragmatic quality depends on usage modes. In Luczak, H.; Cakir, A. E.; Cakir, G. (Hrsg.): Proceedings of the 6th international conference on Work With Display Units (WWDU 2002). Berlin: ERGONOMIC Institut für Arbeits- und Sozialforschung, S. 275-276.
    Online verfügbar:
    www.marc-hassenzahl.de/pdfs/WWDU02_Hassenzahl_print.pdf
  • [5] Online: www3.psychologie.hu-berlin.de/ingpsy/Teaching/Projekte/index_de.html
  • [6] Hassenzahl, Marc; Beu, Andreas; Burmester, Michael (2001): Engineering Joy. IEEE Software 1/2001, S. 2-8.
    Online verfügbar:
    www.marc-hassenzahl.de/pdfs/Engineering_Joy.pdf
  • [7] Online: www.attrakdiff.de
  • [8] Laugwitz, Bettina; Held, Theo; Schrepp, Martin (2006)b: Konstruktion eines
    Fragebogens zur Messung der User Experience von Softwareprodukten. In: Heinecke, A. M.; Paul, H. (Hrsg.): Mensch & Computer 2006: Mensch und Computer im StrukturWandel. München: Oldenborg Verlag, S. 125-134.
Portraitfoto: Julia Müller

Julia Müller

Doktorandin & Usability Consultant

Universität Erfurt

Bisher veröffentlichte Beiträge: 2

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