Femtech – …

Drei Freundinnen in einem Sonnenblumenfeld lachen in die Kamera.

Wirft man heute einen Blick in das Tamponregal des hiesigen Drogeriemarkts, so fällt schnell auf, dass sich in letzter Zeit einiges verändert hat: Tampons werden nicht mehr hinter minzgrünen Verpackungen versteckt, sondern drängen sich mit bunten, grellen Farben in den Vordergrund.

Es scheint, als weiche die Scham und das Tabu langsam einem gewissen weiblichen Stolz. Doch was hat es mit dem Wandel genau auf sich und welche Rolle kann menschzentrierte Gestaltung bei der Entwicklung guter Femtech-Produkte spielen?

Photo by Courtney Cook on Unsplash
Tampon-Werbung aus den 80er Jahren der
Marke Tampax.
Tampon-Werbung von 2019 der Marke einhorn.

Was ist Femtech?

Femtech beschreibt alle Technologien und Produkte, bei denen es um die Besonderheiten des weiblichen Organismus geht, vor allem also um Menstruationszyklus, Verhütung, Familienplanung und Kinderwunsch, Schwangerschaft und Stillzeit. Das Spektrum reicht dabei von analogen Produkten wie Tampons oder Milchpumpen über Lebensmittel wie Zyklustees bis hin zu Apps wie Clue, die auf Big Data setzen.

Der Begriff leitet sich von „female technology” ab und wurde 2015 von der Gründerin der App Clue, Ida Tin, erfunden, die auch als Pionierin der Branche gilt. Ihre App zum Zyklus-Tracking ist heute eine der meistgenutzten digitalen Anwendungen für Frauen  mit rund 10 Mio Nutzerinnen.

Tampon-Werbung aus den 80er Jahren der Marke Tampax.
Tampon-Werbung von 2019 der Marke einhorn.


Tampon-Werbung aus den 80er Jahren der Marke Tampax.

Warum ist Femtech wichtig?

FemTech-Produkte helfen Frauen dabei, körperliche Prozesse zu beobachten, besser kennenzulernen, und – wie beispielsweise bei der Verhütung – auch besser zu planen. Femtech hat daher immer auch mit Selbstermächtigung zu tun.

Zudem können Femtech-Produkte auch dabei unterstützen, gesundheitliche Probleme besser zu diagnostizieren. Bisher werden Krankheiten oft erst dann erkannt, wenn die ersten Symptome auftreten. Mithilfe von FemTech können diese schon viel früher vorhergesehen werden. Durch das Tracken verschiedener Zyklus-Parameter können Frauen beispielsweise früher erkennen, wann sie bei Unregelmäßigkeiten einen Arzt aufsuchen sollten.

Ein wichtiger Aspekt ist auch der aufklärerische Charakter vieler Femtech-Produkte. Denn trotz aller Bemühungen im Kampf für Gleichberechtigung wissen sowohl Männer als auch Frauen selbst noch zu wenig über Frauengesundheit. Femtech-Innovationen wirken oft als Trigger für die wissenschaftliche Forschun], wodurch wiederum neue Kenntnisse entstehen, die allen Frauen zugute kommen.  

Hinzu kommt, dass gesundheitliche Probleme bei Frauen von Ärzten oft nicht ernstgenommen werden. Der technologische Fortschritt sorgt dafür, dass immer häufiger auch öffentlich über Frauengesundheit gesprochen wird, wodurch auch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Qualität der ärztlichen Behandlung steigt.

Wie hat der Markt sich entwickelt?

Im heutigen Licht erscheint es sehr erstaunlich, dass der Markt erst so spät erschlossen wurde. Doch seit der Erfindung des Tampons in den 1920er Jahren hatte sich bis vor rund 3-4 Jahren nur wenig auf dem Markt getan. Dann fand relativ plötzlich eine sicht- und spürbare Veränderung statt. Das Jahr 2015 wird seitdem auch als „Year the Period went public“ bezeichnet, da es einen Wendepunkt in der öffentlichen Wahrnehmung der Themen Menstruation und weiblichem Zyklus darstellte. So gab es viele öffentliche Aktionen mit dem Ziel, das Tabu in dem Bereich zu durchbrechen.

Das Thema gelangte dadurch stark ins gesellschaftliche Bewusstsein, vielleicht sogar stärker als jemals zuvor. 2015 wurde der Begriff „menstruation” in englischsprachigen Nachrichtenmedien mehr als dreimal häufiger als noch 2010 genannt. Dadurch begannen wiederum auch viele Frauen selbst, sich vermehrt Gedanken über mögliche Probleme und Veränderungspotenziale zu machen. Seitdem gab es einen rapiden Anstieg an neuen Produkten auf dem Femtech-Markt und wohl keine Frau wünscht sich die „Zustände” aus den Jahren zuvor zurück. Lange Zeit ging die Produktentwicklung zum Großteil von männlichen Produktentwicklern in den Herstellerfirmen aus, die weniger auf die Bedürfnisse der Nutzerinnen Rücksicht nahmen, sondern sich vielmehr an der rein technischen Funktionalität orientierten.

Ein neuer Markt entsteht durch Digitalisierung

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die zunehmende Digitalisierung, durch die sich auch in Bereichen, die zuvor rein analog bedient wurden, neue Märkte erschlossen haben. Beispielsweise können Parameter des weiblichen Zyklus nun mithilfe von Apps getrackt werden, was vorher nur recht kompliziert mit speziellen Zykluscomputern oder mit Stift und Papier möglich war.

Der wachsende Femtech-Markt scheint viele Frauen auch dazu anzuspornen, selbst eine Lösung für ein Problem zu entwickeln: Mit rund 35% ist der Anteil an Patentanmeldungen durch Frauen im Femtech-Bereich fast doppelt so hoch wie in anderen Bereichen.

Herausforderungen bei der nutzerzentrierten Gestaltung von Femtech-Produkten

Erhebungsmethode

Als Basis für verschiedene Lösungsansätze müssen zunächst die Bedürfnisse erkannt werden. Die Produktentwicklung im Femtech-Bereich verlangt aufgrund des sehr intimen und persönlichen Themenbereichs nach einem besonderen Fingerspitzengefühl.

Da die Nutzungsgewohnheiten über einen längeren Zeitraum (mindestens einen Monat) beobachtet werden sollten, bietet sich methodisch eine Nutzertagebuchstudie an, die über einen oder mehrere Zyklen hinweg geführt wird. Man kann sich auch schon im Vorfeld auf eine bestimmte Zyklusphase fokussieren und den Erhebungszeitraum auf wenige Tage beschränken.

Die Probandinnen können im ausgewählten Zeitraum dann ihre Stimmung und weitere vorher definierte Aspekte aufzeichnen. Die einzelnen Punkte werden dann in einer Customer Journey Map zusammengefasst, so dass die Emotionen, problematischen Situationen und Veränderungspotenziale erkannt werden und als Grundlage für Lösungsansätze dienen.

Zu beachten ist dabei, dass der lange Erhebungszeitraum das Risiko für Dropouts steigert. Bei der Rekrutierung sollten deshalb auf jeden Fall genügend Standby-Probanden mit eingeplant werden.

Produktchance definieren

Nach dem Erkennen der Bedürfnisse kann der Markt anschließend beispielsweise durch Benchmark-Analysen genauer untersucht werden, um mögliche Konkurrenten und Marktlücken zu erkennen. Da im Femtech-Bereich jedoch noch viele Stellen nicht erschlossen sind und somit oft keine direkte Konkurrenz vorhanden ist (man denke beispielsweise an Produkte für Frauen in den Wechseljahren), muss hier besonderes Augenmerk auf indirekte Konkurrenz gelegt werden. Will man also ein Device gegen Wechseljahresbeschwerden entwickeln, könnte man sich anschauen, was Frauen im Moment gegen diese Beschwerden unternehmen. Indirekte Konkurrenten könnten somit also auch spezielle Teemischungen sein.

Evaluierung auch nach der Markteinführung

Um sicherzustellen, dass das fertige Produkt auch tatsächlich das Problem der Nutzerinnen im Alltag löst, sollte eine fortlaufende Evaluierung auch nach der Markteinführung stattfinden. Dazu eignen sich beispielsweise Längsschnittstudien, in denen Nutzerinnen des eigenen Produkts mit denen von Konkurrenzprodukten verglichen werden. Dadurch ergeben sich bei positivem Ausgang sogar weitere USPs, die zu Marketingzwecken genutzt werden können. Dies ist insbesondere bei dem wachsenden Femtech-Markt von besonderer Bedeutung, wo Differenzierung eine große Rolle spielt, da die Kundinnen noch nicht auf Erfahrungswerte zurückgreifen können.

Generell ist darauf zu achten, dass sich Nutzerinnen männlichen Studienleitern möglicherweise nicht genauso gern anvertrauen wie weiblichen. Es sollte sich also zumindest eine Frau im Erhebungsteam befinden.

Rekrutierung: Wo findet man Probandinnen?

Neben der Rekrutierung über ein Probandenpanel können Probandinnen auch vor Ort rekrutiert werden. Also an jenen Orten, an denen sich Frauen mit Hygieneprodukten versorgen, bei Frauenärzten oder über Internetforen oder Gruppen vor Ort, in denen sich Frauen austauschen. Denn trotz allem positiven Wandel ist das Thema immer noch teils schambesetzt. Ein indirektes Ansprechen über Flyer, die ausliegen oder aushängen, wäre also vermutlich sinnvoll.

Was steht uns noch bevor?

Femtech hat massives Potenzial, die nächste große Revolution im globalen Gesundheitsmarkt werden. Die entsprechenden Technologien befinden sich auf der Schwelle zu enormem Wachstum: laut der Femtech-Expertin Tracy Warren von der Investment-Plattform Astarte Ventures war der Markt bereits 2018 rund 200 Milliarden US-Dollar wert  – zum Vergleich: der globale IoT-Markt war im selben Jahr nur rund 164 Milliarden US-Dollar groß.

Femtech spricht außerdem eine enorm große Zielgruppe an: Frauen machen rund 49,5% der weltweiten Bevölkerung aus und rund die Hälfte der arbeitenden Menschen. Sie verfügen damit über eine hohe Kaufkraft und haben damit natürlich auch Macht als Konsumentinnen. Menschzentrierte Gestaltung kann bei der weiteren Erschließung des Markts einen essenziellen Beitrag leisten, denn nur Produkte, die sich wirklich an Bedürfnissen orientieren und die Probleme der Nutzerinnen lösen, werden sich in Zukunft durchsetzen.

Portraitfoto: Johanna Naser

Johanna Naser

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