Mental Models: Teil 1 – Die Welt im Kopf des Nutzers
Nutzer denken oft anders, als es von Programmierern und Designern erwartet wird. Es kann zwischen der tatsächlichen Funktionsweise eines Gerätes und den Annahmen des Nutzers darüber ein tiefer Graben entstehen. Bei diesen Annahmen wirken vorherige Erfahrungen mit ähnlichen Produkten, Erwartungen gegenüber wahrgenommenen Interaktionsangeboten des Produktes und Interpretationen von dessen Reaktionen zusammen und formen das mentale Modell.
Mental Models bei Indi Young
Mentale Modelle haben zuletzt zunehmend Beachtung gefunden durch die Publikation von Indi Young (Young, Indi: Mental Models: Aligning Design Strategy with Human Behavior, Rosenfeld Media: 2008). Hier werden sie eingeführt als Methode zur Erfassung von tieferliegenden Gründen von Verhalten. Motivationen und Ziele werden über Tiefeninterviews und Root Task Analysen herausgearbeitet. Ergebnis ist dann ein Mental Model Diagramm, in dem die zentralen Verhaltensmotive den Angeboten des Produktes gegenübergestellt werden. Indi Young wählt den Begriff mentales Modell für ihre Methode und erweitert dadurch das Verständnis dieses Konzeptes gegenüber anderen Annäherungen.
Mentale Modelle haben bereits einen festen Platz in der Mensch-Computer Interaktion. Es lohnt zum weiteren Verständnis von mentalen Modellen ein Blick auf die Bedeutung des Begriffs in dieser Tradition.
Praxisbeispiel – die Bedeutung von Annahmen
Stellen Sie sich zunächst einen Mikrowellenherd vor. Oben rechts sind zwei Displays, eines für die Zeit und eines für das Programm. Er hat darunter drei übereinander angeordnete Knöpfe. Neben dem ersten Knopf steht „1 Minute“, in der Mitte steht „10 Minuten“ und unten steht „Programm“. Dann gibt es noch ganz unten einen Startknopf und eine Vorrichtung zum Öffnen des Garraums. Das Programm lässt sich über wiederholtes Drücken des Knopfes einstellen, wobei zunächst die höchste Leistungsstufe (10) auf dem Display erscheint. Man kann das Gerät mit dem Startknopf anstellen, jedoch damit nicht den Kochvorgang unterbrechen. Dazu muss der Garraum geöffnet werden. Von vorherigen Geräten bin ich sowohl für die Zeit, als auch für die Stufenregelung Drehknöpfe gewohnt. Der Kochvorgang startet mit Einstellung der Zeit. Es ergeben sich mehrere Konflikte zwischen dem Interaktionskonzept der Mikrowelle und meinen Annahmen, wie eine Mikrowelle funktioniert. Zunächst ärgere ich mich, dass ich nicht, wie gewohnt, Drehregler zur Verfügung habe. Ich bin dadurch besonders ungeduldig gegenüber der umständlichen getrennten Zeiteinstellung nach Einzelminuten und 10-Minuten. Außerdem erwarte ich wie beim Drehregler die Einstellung der Leistungsstufe von niedrig zu hoch. Deshalb bin ich immer irritiert und unsicher, ob 10 nun die höchste oder niedrigste Stufe bedeutet. An das Drücken des Startknopfes denke ich häufig nicht und ich wundere mich regelmäßig, weshalb nichts passiert. Hinzu kommt, dass ich erwarte, das Gerät mit demselben Knopf ausschalten zu können, mit dem ich es eingeschaltet habe.
Was ist ein Mental Model?
Nach Davidson, Dove und Weltz (1999) ist ein mentales Modell eine Sammlung von Annahmen, wie ein System funktioniert. Auf der Grundlage dieser Annahmen interagieren Menschen mit Systemen. Das mentale Modell entsteht nebenbei durch frühere Erfahrungen, Wahrnehmungen des Systems und seiner Reaktionen und Problemlösungsstrategien. Es ist nicht stabil und verändert sich ständig.
Für Nielsen (2010) ist ein mentales Modell ebenfalls das, was Nutzer über das System annehmen. Auf dieses Modell gründen sie ihre Vorhersagen über das Verhalten des Systems und entscheiden, was die beste Vorgehensweise ist. Zunehmende Erfahrung mit dem System und auch mit anderen ähnlichen Systemen kann das Modell verändern.
Nach Norman (Norman, Donald A.: Some observations on mental models, 2014) entwickeln Menschen über die Interaktion mit einem System ein mentales Modell dieses Systems. Dieses ist unvollständig und es funktioniert oft nur begrenzt. Mentale Modelle sind instabil und in ihnen werden ähnliche Geräte und Funktionen verwechselt. Sie führen zu überflüssigen Aktionen, die durch besseres Verständnis vermieden werden könnten, jedoch mentale Komplexität verringern.
Annahmen von Nutzern über die Funktionsweise eines Systems sind demnach von zentraler Bedeutung für das Verständnis von mentalen Modellen. Sie entstehen einmal, wie in dem Beispiel mit der Mikrowelle, durch Erfahrungen mit ähnlichen Produkten. Diese bestimmen durch Vergleiche und dadurch entstehende Konflikte mit Erwartungen die Interaktion von Anfang an. Dann folgen Annahmen darüber, wie das Gerät selbst eigentlich funktioniert. Hier zeigt sich dann, wie weit das Systemmodell von Programmierern und Designern über Hinweise und Interaktionsangebote für den Nutzer verständlich und nachvollziehbar ist. Die Wahrnehmungen von Knöpfen, Schaltern, Buttons, Beschriftungen, akustischem oder visuellem Feedback sind das Material, aus dem die Annahmen des Nutzers sich entwickeln darüber, wie er sein Ziel mit dem Gerät erreichen kann.
Warum sind Mental Models relevant?
Teilweise findet man in Texten zu mentalen Modellen einen genervten Ton, der wohl besagen soll: die Nutzer mit ihren primitiven Annahmen und fehlgeleiteten Versuchen zur Bedienung eines Produktes sind einfach zu dumm dazu. Es ist nur störend und frustrierend, dass sie nicht verstehen, was sich Programmierer und Designer gedacht haben.
Mentale Modelle können von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein, abhängig von seinen Erfahrungen, seiner technischen Kompetenz und seinen kognitiven Fähigkeiten. Je schwerer das vorgegebene Bedienkonzept nachzuvollziehen ist, desto weiter werden die mentalen Modelle zur Bewältigung der Nutzungshürden auseinandergehen und auch von der vorgesehenen Funktionsweise abweichen. Produkte werden häufig für die Masse gemacht oder haben diesen Anspruch. Deshalb müssen sie so gestaltete werden, dass auch weniger technikaffine und kognitiv weniger leistungsfähige Nutzer möglichst wenig Schwierigkeiten haben, sich ein funktionierendes Modell vom Bedienkonzept des Gerätes zu machen. Diese Perspektive ist für den Designer mit seinem ausgeprägten Verständnis für Interfaces oft schwer vorstellbar. Frühzeitige Beobachtung und Einbeziehung von auch unbedarften Nutzern und die gründliche Auseinandersetzung mit ihrem mentalen Modell sind deshalb von großer Bedeutung für den Erfolg eines neuen Produktes.
In einem weiteren Beitrag wird der Fokus auf dem Methodischen liegen. Wie können Mental Models im Rahmen des User Centered Design eingesetzt und nutzbar gemacht werden? Welche Methoden sind hierfür geeignet?
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