Schritt für Schritt zur nutzerzentrierten Informationsarchitektur (Teil 2/2) – Evaluation und Iteration

Ein Man im Anzug klickt mit den Finger ein Wolken-Icon aus einer Auswahl aus Icons an.

Im ersten Beitrag dieser zweiteiligen Reihe habe ich bereits beschrieben, wie ein nutzerzentriertes Vorgehen zur Entwicklung der Informationsarchitektur aussieht: Basierend auf einer Analysephase und dem Research durch ein Card Sorting wird die erste Version der Informationsarchitektur entwickelt.

Diese erste Version sollte aber nicht einfach auf gut Glück umgesetzt werden. Viel mehr ist es nach den Prinzipien des User Centered Design wichtig, die entwickelte Struktur mit echten Nutzern zu evaluieren, Probleme zu finden und sie iterativ weiterzuentwickeln. Für die Evaluation einer Informationsarchitektur gibt es die spezielle Methodik des Tree Testings, aber auch Usability-Tests können eingesetzt werden. Wie das genau funktioniert erkläre ich in diesem zweiten Teil der Beitragsreihe.

4. Evaluation mit Tree Testing

Evaluation und Iteration der Informationsarchitektur im GesamtprozessSpeziell für die Evaluation einer Informationsarchitektur ist die Methode des Tree Testing geeignet. Sie wird auch als Reverse Card Sorting bezeichnet und wurde von mir bereits ausführlich in einem Blogbeitrag behandelt.

Grundsätzlich funktioniert ein Tree Testing wie ein Usability-Test, mit einer Reihe von kleinen Aufgaben für die Probanden. Diese Aufgaben beziehen sich jedoch rein auf das Auffinden von Informationen in einer hierarchischen Struktur. So ist es mit Tree Testing möglich, eine Informationsarchitektur zu testen, bevor überhaupt ein Navigationsdesign entwickelt wurde. Zudem kann die Evaluation so unbeeinflusst von den Effekten erfolgen, die das Navigationsdesign auf die Auffindbarkeit der Informationen hat. Gefundene Probleme lassen sich klar der reinen Struktur zuordnen.

Tree Testing führen wir immer online mit dem Tool TreeJack von OptimalWorkshop durch. So lassen sich sehr einfach hohe Fallzahlen erreichen, die aussagekräftige Ergebnisse zulassen. In TreeJack gibt man zum einen die zu testende Struktur (den „Tree“) ein, zum anderen legt man die Aufgaben fest. Zu jeder Aufgabe werden ein oder mehrere Zielseiten aus dem Tree als korrekte Antworten gewählt.

Aus Probandensicht sieht es dann so aus: Man bekommt eine Aufgabe gestellt und klickt sich durch die Baumstruktur, bis man glaubt, die richtige Zielseite mit den gesuchten Informationen gefunden zu haben:

Tree Testing mit TreeJack

Zum Studiendesign sind folgende Punkte sehr wichtig:

  • Ein Proband sollte maximal 15 Aufgaben bearbeiten. Ansonsten wird die Dauer des Tests zu lang und die Lerneffekte sehr groß.
  • Um Lerneffekte auszugleichen, sollte zudem die Reihenfolge der Aufgaben zufällig ausgewählt werden.
  • Pro Aufgabe empfehle ich mindestens 50 Probanden, was auch der Einschätzung von UserZoom und OptimalWorkshop entspricht.
  • Um mehr als 15 Aufgaben zu testen, können einfach mehr Probanden rekrutiert werden. Für 30 Aufgaben bräuchte man also insgesamt mindestens 100 Probanden.
  • Generell ist es aber nicht empfehlenswert, jede Zielseite der Informationsarchitektur mit einer eigenen Aufgabe abzutesten. Man sollte sich auf die wichtigsten Seiten beschränken und auf solche, bei denen sich in der Designphase schon Schwierigkeiten in der Einordnung gezeigt haben.

Von TreeJack werden bei der Erhebung eine Vielzahl von Daten zum Verhalten der Probanden aufgezeichnet. Einen ersten Eindruck, ob eine Aufgabe Probleme bereitete, ergibt sich aus der Success Rate. Diese gibt an, wie viele Probanden eine korrekte Zielseite ausgewählt haben:

Success Rate einer Aufgabe in TreeJack

„Direct“ und „Indirect“ beziehen sich in dieser Auswertung darauf, ob die gewählte Zielseite direkt, ohne Rücksprünge, angesteuert wurde. Ein hoher Anteil an direkten Auswahlen deutet darauf hin, dass sich die Probanden recht sicher waren, während indirekte Auswahl Unsicherheit vermuten lässt.

Problematische Aufgaben mit niedriger Erfolgsquote sollte man sich dann im Detail anschauen. Sehr hilfreich sind dabei die so genannten Pietrees:

Pietree-Auswertung in TreeJack

Hier lässt sich genauer erkennen, an welchen Stellen in der Informationsarchitektur die Probanden den richtigen oder falschen Weg einschlugen. So lässt sich das Problem mit der Aufgabe eingrenzen und es ergeben sich Ansätze für eine Behebung.

5. Evaluation mit Usability-Tests

Eine andere Möglichkeit, die Informationsarchitektur zu evaluieren, sind klassische Usability-Tests. Auch in einem Usability-Test können Fragen zur Auffindbarkeit von Informationen gestellt werden, ähnlich dem Tree Testing.

Anders als beim Tree Testing hat dabei aber nicht nur die Informationsarchitektur einen Einfluss, sondern auch die Gestaltung der Navigation, die diese Informationsarchitektur abbildet. Das ist sowohl Vor- als auch Nachteil:

  • Die Evaluation kann erst später erfolgen und ist aufwändiger.
  • Probleme können nicht so einfach der Informationsarchitektur zugeordnet werden.
  • Sie entspricht stärker der Realität, da die Nutzer später ebenfalls in der Navigation nach Informationen suchen.

Usability Test

6. Iteratives Vorgehen bis zum Endergebnis

Egal welche Evaluationsmethode gewählt wird, das Vorgehen sollte entsprechend dem User Centered Design iterativ sein. Das bedeutet, dass Probleme gefunden, entsprechende Anpassungen an der Informationsarchitektur vorgenommen und dann weitere Tests durchgeführt werden. So sollte man vorgehen, bis alle Probleme behoben wurden.

Meist ist es empfehlenswert, zunächst mit Tree Testing zu beginnen, da dies früher und einfacher durchführbar ist. So kann die reine Informationsarchitektur optimiert werden, bevor das Navigationsdesign einen Einfluss hat.

Um sicher zu gehen, dass es dann auch im Rahmen der Navigation funktioniert, macht ein Usability-Test Sinn. Dort gefundene Probleme sind dann eindeutig dem Navigationsdesign zuzuorden, da die Informationsarchitektur ja bereits zuvor getestet wurde.

Fazit: Auch eine Informationsarchitektur kann nutzerzentriert entwickelt werden

Viel zu häufig fällt die Informationsarchitektur bei der nutzerzentrierten Entwicklung einer Website unter den Tisch. Dabei ist sie gerade bei informationslastigen Websites ein zentrales Element, das die User Experience stark beeinflusst.

Mit den von mir in diesem und dem vorherigen Blogbeitrag erläuterten Methoden lässt sich die Informationsarchitektur nach den Prinzipien des User Centered Design entwickeln:

  1. Analyse und Content Audit
  2. Research mit Card Sorting
  3. Design der Informationsarchitektur
  4. Evaluation mit Tree Testing
  5. Evaluation mit Usability-Test
  6. Die Evaluation und Verbesserung wird iterativ wiederholt
Portraitfoto: Jan Pohlmann

Jan Pohlmann

UX Designer

BMW AG

Bisher veröffentlichte Beiträge: 10

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