Motivationsfaktoren nutzen, um die eigene Zielgruppe optimal anzusprechen
In einer Vielzahl von Beiträgen wurde hier auf dem Usabilityblog bereits darüber berichtet, dass Motivation ein gutes Mittel zur Kundenbindung und Kaufermunterung sein kann. Besonders intrinsische Motivation, wie bereits von Jens Jacobsen im Beitrag Nutzer motivieren oder manipulieren – Gamification beschrieben, ist hier besonders effektiv.
Betrachtet man das Thema Motivation kommt man um den Begriff Gamification nicht herum. Gamification versucht durch Spielmechanismen, den Nutzer stärker zu motivieren. Jan Pohlmann schrieb bereits 2012 einer 4-teilige Serie wie man Gamification beispielsweise auf einem Tourismus Portal einsetzten kann. Mit vielen Praxis-Beispielen bestückt, ist es immer noch ein sehr lesenswerter Beitrag. Besonders die im ersten Teil vorgestellte Flow-Theorie ist ein Grundstein für gutes Game Design.
Bartles Spielertypen – Ein missbrauchtes Werkzeug
Jan Pohlmann stellte neben der Flow-Theorie unter anderem auch Bartles Spielertypen vor. Es ist eine viel genutzte und beliebte Methode, um Spielertypen zu kategorisieren und daraus deren Motivation leicht abzuleiten.
Die Theorie wurde bereits 1996 aufgestellt. Bartle wollte damals verdeutlichen, dass Game Designer Spiele nicht für sich selbst, sondern für andere Menschen entwerfen sollen. Quasi Alan Cooper der Spieleindustrie. Die Theorie bezog sich dabei auf Bartles eigenes Spiel MUD 2, welches ein textbasiertes Multiplayer-Spiel war. Dieses Spiel ist der Vorgänger heutiger MMORPG (Massively Multiplayer Online Role-Playing Game). Bartle definiert ein MMORPG als eine virtuelle, persistente Welt die speziellen physikalischen Gesetzten unterworfen ist und von sehr vielen Spielern geteilt wird. Man kann mit seinem eigenen Avatar in diese Welt eintauchen und sich in ihr frei bewegen.
Doch zurück zu den Spielertypen: Diese beziehen sich also auf ein Multiplayer-Spiel. Das ist ein sehr entscheidender Punkt! Es handelt sich also um keine generelle Theorie, die alle Spielertypen beschreibt, die es gibt. Sie beschreibt lediglich Spielertypen, die im Regelfall durch ein MMORPGs angesprochen werden. Limitiert man also sein Design auf diese, limitiert man auch seine Zielgruppe.
Bartle beschreibt dies sehr ausführlich in einem Vortrag bei der CasualConnect Europe 2012. Hier führt er unter anderem folgende Analogie an: Wenn man einen Raum mit einer 1,60 m hohen Tür baut und festlegt, dass nur Menschen den Raum betreten dürfen, die durch diese Tür passen, wäre es fälschlich zu sagen, es gäbe auf dieser Welt nur Menschen unter 1,60 m. Das bedeutet also, dass man von Bartles Spielertypen lediglich etwas über Multiplayer Spieler lernen kann.
Die Alternative zu den Spielertypen: Motivationsfaktoren
Doch wenn man sich nun die Spielertypen nicht zu Nutze machen kann, wie werden Spieler (Anmerkung: Spieler sind nicht geschlechtsbezogen.)dann motiviert? Die von Bartle beschriebenen Spielertypen folgen gewissen Motivationsfaktoren, welche sich extrahieren lassen und somit individuell eingesetzt werden können. Dadurch beschränkt man sich nicht auf spezielle Typen. Man kann aber Motivationsfaktoren beispielsweise ebenfalls in Personas integrieren, da unterschiedliche Zielgruppen unterschiedlich stark von ihnen beeinflusst werden. Im Folgenden werden 6 grundlegende Motivationsfaktoren vorgestellt:
- Bedeutsame Wahlmöglichkeiten
- Herausforderung
- Kontrolle
- Soziale Validierung
- Belohnungen
- Immersion
Wahlmöglichkeiten machen das Spiel bedeutsam
Man nennt es häufig „die Qual der Wahl“. Etwas auszuwählen, bedeutet für viele Menschen Stress und es fällt ihnen schwer eine Wahl zu treffen. Bei Spielen ist es aber so, dass eine Entscheidung das Spiel bedeutsamer macht. Man gibt dem Spieler das Gefühl, er habe Einfluss auf den Spielverlauf. Nur durch seine richtigen Entscheidungen, konnte er das Spiel gewinnen. Es entsteht das Gefühl das Spiel gemeistert zu haben und Autonomie darüber zu besitzen.
Die Kunst ist es, dem Spieler nicht zu viele Entscheidungsmöglichkeiten zu geben und ihn damit nicht zu überfordern, aber genug um eine echte Wahl treffen zu können. Der Spieler sollte sich über die Konsequenzen seiner Entscheidung bewusst sein, um abwägen zu können, welches die Richtige für ihn ist. Das Spiel wiederum, hat die Aufgabe dem Spieler Feedback darüber zu geben, wie bedeutsam seine Entscheidung war.
Entscheidungen erhöhen zudem die Wiederspielbarkeit. Manche Spieler werden also primär dadurch motiviert Informationen zu sammeln, um die richtige Entscheidung zu treffen oder das Spiel mit all seinen Möglichkeiten zu erforschen. Unterschiedliche Möglichkeiten bietet man nur durch Entscheidungen.
Herausforderungen geben das Gefühl das Spiel gemeistert zu haben
Andere Spieler wiederum lieben die Herausforderung. Sie wollen sich selbst an ihre persönlichen Grenzen treiben. Wie auch bei der Entscheidung, ist hier die Kunst, dem Spieler immer genau so viel Herausforderung zu bieten wie er meisten kann.
Scheitert er zu häufig, kommt Frust auf und die Motivation sinkt. Ist das Spiel zu leicht, wird diese überhaupt nicht als Herausforderung wahrgenommen und die Motivation kommt gar nicht erst auf. Bei der Herausforderung geht es nur darum diese zu meistern. Schafft man es, den Spieler immer die optimale Herausforderung zu bieten, bringt man ihn in den Flow. Repetitive Aufgaben, die man in einer hohen Anzahl erledigen muss (im Game Design auch Grinding genannt), sind zwar zeitlich herausfordernd, aber häufig wenig zufriedenstellend. Spieler die durch Herausforderung motiviert werden, wollen ihr Können durch mentale oder physische Überlegenheit unter Beweis stellen.
Kontrolle verleiht Macht und Selbstbestimmung
Kontrolle ist ein Motivationsfaktor der häufig nicht alleine steht. Um sich frei zu fühlen, braucht der Spieler Kontrolle über das Spiel, ebenso um Entscheidungen zu treffen oder sich neue Herausforderungen zu suchen. Kontrolle kann im weitesten Sinne wie die Dialogregel Steuerbarkeit gesehen werden, ist aber sehr viel weitreichender.
Eines der erfolgreichsten Spiele unserer Zeit ist Minecraft. Ein sogenanntes Sandbox-Spiel, bei dem der Spieler, seine eigene Welt aufbauen und teilweise sogar die Physik beeinflussen kann. Hier wird der Spieler zum „Gott seiner Welt“. Er hat die volle und totale Kontrolle. Überlässt man diese dem Spieler, darf man sie ihm aber nicht wieder wegnehmen.
Man muss dem Spieler aber nicht immer die volle Kontrolle über das gesamte Spiel anvertrauen, um ihn zu motivieren. Ihn entscheiden zu lassen, was er wann, wie spielen möchte, gibt ihm auch Kontrolle. Wichtig ist, dass er niemals das Gefühl bekommt: „Das habe ich mir so aber nicht ausgesucht“.
Soziale Validierung gibt Anerkennung
Der Motivationsfaktor soziale Validierung ist der, der bis jetzt am besten mit Gamification Mechanismen abgedeckt wird. Die Theorie dahinter ist, dass ein Spieler oder im Fall von Gamification generelle Nutzer, Zeit und Energie investieren, um sich ihr soziales Kapital aufzubauen. Das soziale Kapital kann ein Avatar mit einer tollen Rüstung, eine Seite mit ganz vielen Medaillen oder eine gute Ranglistenposition sein. Durch das soziale Kapital erhält der Spieler Anerkennung, Unterstützung und Vertrauen in ihn und seine Fähigkeiten.
Da man sich im virtuellen Raum nicht sieht und man die andere Person nicht einschätzen kann, benötigt man Hinweise, die einem zeigen, dass diese Person vertrauenswürdig ist. Nutzer oder Spieler mit ein hohen sozialen Kapital vertraut man eher in einer Rezension oder möchte mit dieser gemeinsam einen Dungeon bestreiten.
Das soziale Kapital ist die Basis der Interaktion, die als solche natürlich auch motivierend sein kann. Viele Spieler tauschen sich einfach gerne aus, helfen und lernen voneinander. Schließt man Freunde im Spiel geht man eine soziale Verpflichtung ein, die einen langfristig auch an das Spiel bindet.
Belohnungen sind die Art des Spiels zu sagen: „Gut gemacht“
Ähnlich wie auch soziale Validierung werden Belohnungssysteme (Achievements) bereits vielseitig für Gamification eingesetzt. Wie auch bei der Herausforderung, geht es aber nicht nur um die Belohnung als solche. Um eine wertvolle Belohnung zu erhalten, die wertgeschätzt werden kann, muss sich diese auch verdient anfühlen. Bekommt man eine Belohnung, nur weil man 100-mal auf einen Knopf gedrückt hat, ist diese nicht so viel Wert, wie wenn man alle Level auf maximaler Schwierigkeit meistert.
Damit kommen wir auch zu der Schwierigkeit eines Belohnungssystems: Damit sich die Belohnung gut anfühlt, muss sie die Erwartung gemäß der erbrachten Leistung entsprechen. Diese ist aber sehr subjektiv.
Spiele haben den Vorteil virtuelle Güter austeilen zu können, deren Wert erst festgelegt werden muss. Gibt man also eine exklusive Belohnung für eine schwere Aufgabe, ist diese Belohnung automatisch sehr viel wert. Dieser Wert sollte nachträglich aber nicht vermindert werden, indem man die Aufgabe leichter oder die Belohnung zugänglicher macht. Dies führt schnell zu Frust beim Spieler. Eine gute Belohnung ist etwas, worauf der Spieler stolz sein kann, die ihm das Gefühl gibt, das Spiel gemeistert zu haben und Macht verleiht. Es ist die Art des Spiels dem Spieler zu sagen: „Gut gemacht.“
Durch Immersion eins mit dem Spiel sein
Ein Spiel zu spielen, geht immer einher mit dem Anpassen an neue Regeln und dem Kennenlernen neuer Welten. Manche Welten sind komplexer und fremdartiger als andere. Totale Immersion bedeutet, dass man sich auf allen Ebenen mit dem Spiel identifiziert. Man fühlt sich als physischer und visueller Teil dieser Welt. Die Grafiken müssen dabei nicht unbedingt realistisch wirken und man braucht nicht eine VR-Brille um ein tolles, immersives Erlebnis zu haben. Wer schon einmal ein richtig gutes Buch gelesen hat weiß, dass häufig eine fesselnde Geschichte genügt, um aus der Realität zu fliehen. Ist die Immersion stark, verleiht das dem Spieler ein Gefühl von Autonomie. Spieler werden davon motiviert sich in einer Welt zu verlieren und vollständig abzutauchen. Gute Immersion hilft außerdem den Flow-Zustand zu erreichen.
Dabei kann eine vollständige Immersion aber auch frustrierend und stressig sein, da sich der Spieler als Teil des Spiels wahrnimmt. Immersion ist also ein gutes Mittel um dem Spieler ein Gefühl von Entspannung zu bieten, kann aber auch den entgegengesetzten Effekt hervorrufen.
Fazit
Die Motivationsfaktoren stehen individuell für sich und Spieler werden unterschiedlich stark von ihnen beeinflusst.
Man kann sie sehr gezielt auf die eigene Zielgruppe abstimmen und richtig eingesetzt, sind sie sehr effektiv. Jeder der Motivationsfaktoren hat aber seine Tücken. Will man sie für Gamification einsetzen, ist es ratsam einen Game Designer zu involvieren. Dieser versteht die Vielschichtigkeit der Motivationsfaktoren und die Wechselwirkungen, die mit anderen Systemen erzeugt werden müssen, um sie voll ausschöpfen zu können.
Haben Sie bereits Motivationsfaktoren für Ihre Zielgruppen angewendet? Ich freue mich auf Ihre Kommentare.
Sehr lesenswerter und gut recherchierter Artikel. Für die breite Masse sehe ich aber eher die Gefahr der Frustration. Kommt ein User auf eine beliebige Seite, dann meistens, um schnell nach dem, was er sucht abzuscannen. Mit Entscheidungsmöglichkeiten, die Belohnungen versprechen, gibt man dem User in dieser Situation das Gefühl, möglicherweise etwas zu verpassen und damit, dass ein Anbieter ihm Steine in den Weg legt, es unnötig kompliziert macht, statt einfach und schnell zum besten Angebot zu führen und damit wird das „Spiel“ auch ganz schnell zur Blockade.
Hallo Frau Schuster,
vielen Dank für Ihren Kommentar und das Lob!
Ich kann Ihnen dabei nur zustimmen. Gamification ist nicht immer das richtige Werkzeug und sollte sehr bewusst und gekonnt eingesetzt werden. Sonst kann es, wie sie schon sagten, schnell zu Frustration führen. Gamification dient vorallem der Kundenbindung, also wie man Bestandkunden noch weiter motivieren kann. Auch bei einem Spiel lernt man viele Mechaniken erst mit der Zeit kennen, wenn man sich ziemlich sicher ist, dass der Spieler nicht mehr so schnell das Spiel verlässt.
Also wie immer sollte man seine Zielgruppe gut kennen/ kennen lernen, um abzuwägen ob man Gamification einsetzten kann.
Beste Grüße,
Indra Burkart
Bei meiner Freundin reicht es schon, wenn man das Bedürfnis, das das Problem stellt, stillt. Sie ist in einer Lagerhalle. Dort gibt es eine neue Lagerbühne. Der Platz soll optimal ausgenutzt werden.
Hallo Emmi,
vielen Dank für den Kommentar.
Um die Motivation zu steigern müssen erstmal die Bedürfnisse erfüllt werden. Man kann nicht nach mehr streben, wenn die Basis nicht stimmt. Das ist genauso, wie eine fehlerhafte Software nicht von der besten Usability gerettet werden kann.
Manchen Nutzern genügt vielleicht die Bedürfniserfüllung oder sie wurden nicht mit dem entsprechenden Motivationsfaktor angesprochen. Das findet man nur mit gutem User Research raus 😉
Beste Grüße,
Indra Burkart